0030 - Am Morgen meiner Hinrichtung
Es war ein guter Dolch, sauber gearbeitet und scharf wie ein Rasiermesser.
Natürlich hatte jeder im Dorf gewußt, wem dieser gemeine und dumme Streich mit den Büchern zuzuschreiben war. Aber wer sollte es Bigo beweisen? Gesehen hatte ihn keiner dabei. Und es mochte wohl auch niemand gern mit Bigo anbinden, denn wenn er damals auch erst vierzehn Jahre alt war, so war er doch manchem erwachsenen Mann an Körperkräften mindestens ebenbürtig, wenn nicht gar überlegen. Und schon mancher hatte von Bigo etwas einstecken müssen.
Das Leben ging weiter, und man vergaß die Sache mit den Büchern. Man gewöhnte sich allmählich auch daran, daß Juan nun in jeder freien Minute außerhalb des Dorfes vor einem Baum stand und Messerwerfen übte. Zuerst hatte man natürlich befürchtet, Juan werde mit seinem Dolch den Bigo überfallen und es werde ein grausames Unglück geben. Aber als nach Monaten nichts dergleichen geschehen war, hielt man Juans neue Liebe für Dolche und Messer genauso für einen harmlosen Spleen, wie es vorher eine Vorliebe für Bücher gewesen war.
Juan war achtzehn Jahre alt, als er außer der billigen Kleidung auf seinem Leibe praktisch nichts anderes besaß als eine Sammlung von vierunddreißig indianischen Dolchen. Jeder ein Meisterstück, scharf und schwer und mit reichverziertem Griff. Klug geworden durch den Verlust seiner Bücher hatte er sich auch eine kleine Stahlkassette erworben, deren Schlüssel er an einem dünnen Silberkettchen immer um seinen Hals trug. Darin lagen seine Dolche, nun gesichert vor unerwünschtem Zugriff.
Aber Bigo war nun zwanzig, und er hatte andere Interessen, als dem häßlichen Zwerg Juan noch einen Streich zu spielen. Man munkelte im Dorf, daß es wohl bald eine Hochzeit geben würde. Bigo und Juanita, nun zum schönen Weibe erblüht, sollten und würden ein Paar werden. Das war für das ganze Dorf eine Selbstverständlichkeit.
Und eines Tages wurde es offiziell verkündet: In drei Wochen sollte die Hochzeit sein. Diese Nachricht war natürlich wichtiger als die kleine Geschichte, die Juan am selben Nachmittag aufgeregt im Dorfe erzählte: Daß man ihm nämlich in einem unbeobachteten Augenblick, als er versehentlich seine Kassette offenstehen gelassen hatte, vier von seinen Dolchen gestohlen hätte. Niemand kümmerte sich um die angeblich gestohlenen Messer, und mancher erwiderte scherzend: ›Ich denke, du hast vierunddreißig? Was macht es da aus, daß man vier gestohlen hat?‹
Am Abend, nach verrichteter Arbeit, als die Sonne schon tief am Himmel stand, sah man Juanita und Bigo wie an jedem Abend zusammen das Dorf verlassen. Sie schlugen einen schmalen Weg ein, der quer durch den Dschungel zu einem kleinen See führte, wo die beiden oft stundenlang am Ufer lagen und verliebte Träume spannen.
Keine drei Meter von ihnen entfernt ragten die Stämme einiger Urwaldriesen aus dem dichten Gestrüpp des Unterholzes. Juanita erzählte später, sie hätte einmal etwas rascheln hören, aber nicht weiter darauf geachtet, weil sie es für das Geräusch irgendeines Tieres gehalten habe.
Plötzlich aber zischte etwas Blitzendes grell und pfeifend durch die Luft. Ein fürchterlicher Schrei von Bigo erscholl. Aber da fuhr schon wieder etwas blitzend durch die Luft und fraß sich mit heißem Schmerz in Bigos Schulter.
Juanita sah mit entsetzten Augen, daß die Griffe zweier Dolche aus Bigos Körper ragten — einer an der linken Hüfte, einer an der linken Schulter. Bigos Hemd färbte sich blutig. Juanita schrie, aber wer hätte sie hier am See hören sollen?
Bigo war halb ohnmächtig vor Schmerzen. Er machte dem Mädchen klar, daß sie zum Dorf zurücklaufen und Hilfe holen müßte. Juanita verstand und machte sich auf den Weg. Ihr erster Gedanke war: Juan! Er hat die Dolche geworfen! Sie lief, was ihre Füße hergaben.
Aber Juan saß in der Hütte seiner Pflegeeltern und schnitzte an einem Stock herum, den er mit schwierigen Ornamenten versah. Zwar war er allein in der Hütte, weil seine Pflegeeltern den Nachbarn einen Besuch abstatteten, aber es deutete nichts darauf hin, daß er noch vor kurzer Zeit im Dschungel gewesen wäre. Er hätte atemlos vom Lauf sein müssen, sein Hemd schweißverklebt — nichts von alledem war der Fall. Daß er vielleicht sein Hemd in der Hütte zurückgelassen haben könnte, um es bei seiner Rückkehr über den vor Schweiß triefenden Oberkörper zu streifen, daran dachte in der Aufregung niemand.
In ohnmächtiger Wut machte sich Juanita
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