0031 - Teufelstrank um Mitternacht
Laute.
Jane wollte dem Mann helfen, obwohl sie selbst mit dem Tode rang. Sie stützte sich an den Sessellehnen hoch. Wieder packte sie der Schwindel. Er trieb Jane Collins nach vorn, und für einen Moment sah es so aus, als würde sie in den Kamin mit den brennenden Holzscheiten fallen. Dann hatte sich Jane gefangen. Sie schritt um den Stuhl herum und ging wie eine alte Frau auf den am Boden liegenden Sir Randolph Norfolk zu.
Der Mann befand sich in einem schlechten Zustand. Er rang verzweifelt nach Luft, fetzte mit beiden Händen den Kragen auseinander und riß dabei die Hemdknöpfe ab.
Jane Collins taumelte auf ihn zu. Mit jedem Schritt ging es ihr schlechter. Sie wollte dem Mann die Hand reichen, um ihn hochzuziehen, doch sie bekam das Übergewicht und fiel.
Dicht neben Sir Randolph blieb sie liegen.
Ihre Gesichter waren nur eine Handbreite voneinander entfernt. Dick perlte der Schweiß auf der Haut. In Sir Randolphs Augen lag ein fiebriger Glanz.
Er versuchte zu sprechen. Mußte zweimal ansetzen, um verständliche Worte hervorzubringen.
»Wir… wir… hätten auf ihn hören sollen. Nicht… nicht trinken. Teufelszeug…«
Jane wollte etwas erwidern, doch die Stimme versagte. Sie sah Sir Randolph wie durch einen tänzelnden Schleier. Mühsam wälzte sie sich zur Seite, richtete ihren Blick auf die Tür.
Obwohl sie nur wenige Schritte entfernt war, kam ihr die Distanz doch ungeheuer weit vor. Sie wollte auf die Tür zukriechen, denn dicht daneben stand auf einem kleinen Tischchen das Telefon.
Kraftlos fiel Jane Collins zurück. Dann kamen die Wellen der Ohnmacht. Sie überschwemmten Jane und löschten ihr Bewußtsein aus.
Lange war sie nicht ohnmächtig. Als sie erwachte, war noch alles genau wie zuvor. Die Wanduhr tickte monoton, und Sir Randolph lag neben ihr.
Jane Collins fühlte sich wieder besser. Sie blieb noch ein paar Sekunden liegen, stemmte sich dann auf die Knie und rollte Sir Randolph an der Schulter zurück.
Schwer fiel der Mann auf den Rücken.
Gleichzeitig traf Jane Collins der Schock.
Sir Randolph Norfolk hatte kein Gesicht mehr! Statt dessen starrte Jane ein fahler bleicher Totenschädel an!
Die Detektivin wurde vom Grauen geschüttelt. Jetzt sah sie auch, daß Sir Randolphs Hände aus bleichen Skelettknochen bestanden, ebenso wie sein Hals und seine Arme. Letzteres bemerkte Jane, als sie den Jackettärmel hochschob.
Ein schrecklicher Verdacht keimte in ihr hoch. Wenn Sir Randolph in ein Schreckgespenst verwandelt worden war, und das nur, weil er von dem Wein gekostet hatte, dann…
Jane hob ihre rechte Hand. Sie traute sich kaum, ihr Gesicht anzufassen, spreizte die Finger, gab sich einen Ruck und fühlte nach.
Jane Collins’ tastende Fingerkuppen berührten keine weiche Haut mehr, sondern die bleichen Knochen einer Skelettfratze!
***
Von den Pantoffeln schlüpfte ich in die Slipper und zog anschließend den Rollkragenpullover über den Kopf. Ehe ich meine Wildlederjacke überstreifte, dachte ich daran, die mit geweihten Silberkugeln geladene Beretta mitzunehmen.
Ich ließ es bleiben. Auf der Fahrt nach Chelsea würde mir schon kein Monster begegnen.
So glaubte ich ahnungsloser Tor.
Gegen dreiundzwanzig Uhr dreißig verließ ich die Wohnung. Suko, der sein Apartment nebenan hatte, war nicht eingeweiht. Ich wollte ihn mit solch einem Kram nicht belästigen.
Es war stiller geworden in London. Über die breite Kings Road fuhr ich meinem Ziel entgegen.
Der Bentley lief wie ein Uhrwerk. BBC brachte flotte Tanzrhythmen. Der Himmel über London war bewölkt. Bis vor wenigen Tagen hatten wir noch fast sommerliche Temperaturen gehabt. Direkt außergewöhnlich für Oktober, doch jetzt kündigte sich der Herbst mit aller Macht an. Die Blätter verloren das saftige Grün, wurden gelb, braun und orange. Nach dem ersten Nachtfrost würden sie abfallen wie reifes Obst.
Ich war froh, daß ich in diesen Tagen keinen heißen Fall am Hals hatte, so konnte ich liegengebliebene Sachen aufarbeiten und kam auch dazu, pünktlich Feierabend zu machen.
Ich kannte die Ecke, in der Sir Randolph Norfolk wohnte. Vor eineinhalb Jahren hatte ich dort einen Fall zu lösen.
Ich bog in die Oakley Street ein, fuhr dann durch einige Nebenstraßen und erreichte mein Ziel.
Das Haus lag versteckt in einem Park. Kastanienbäume säumten die Fassade. Sie wechselten sich ab mit wuchtigen Ahornbäumen. Im ersten Stock brannte Licht. Ich sah es schwach durch die Vorhänge schimmern. Das kleine Gartentor war
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