0031 - Wir durchschauten seine Maske
schon gekommen war. Ich öffnete die Haustür…«
Ich unterbrach: »Mit Ihrem Schlüssel?«
Sie zog die Augenbrauen zusammen und dachte nach.
»Nein«, sagte sie dann. »Ich brauchte die Tür nur aufzustoßen, sie stand offen.«
»Weit?«
»Nein. Nur einen ganz kleinen Spalt.«
»Als Sie die Tür aufgestoßen hatten, da sahen Sie sofort…«
Grynoon brach taktvoll ab, weil er nicht fortfahren wollte:… die Leiche Ihres Mannes.
Die Frau schluckte, als ob sie etwas hinunterwürgen müsse. Ihre Stimme klang rauh, als sie sagte: »Ja. Ich sah ihn sofort. Und das Blut. Einen Augenblick lang war ich wie gelähmt. Dann bin ich hinausgerannt. Ich weiß selbst nicht, wie ich dazu kam, aber plötzlich war ich in dem Lokal. Ich glaube, ich bin einfach auf das Licht zugerannt, weil ich eine fürchterliche Angst hatte. Und die anderen Häuser waren ja schon alle dunkel.«
»Ja, ja, natürlich. Vielen Dank, Mrs. Quire. Wir werden später über Ihre Aussage noch ein Protokoll aufnehmen müssen. Aber das hat noch ein paar Tage Zeit. Ich möchte Sie jetzt nicht über Gebühr beanspruchen. Ich werde Ihnen unseren Polizeiarzt herüberschicken, er soll mal nach Ihnen sehen.«
»Aber ich bin nicht krank.«
»So meinte ich das nicht. Vielleicht ist es besser, wenn er Ihnen ein Beruhigungsmittel für die Neven gibt, damit Sie schlafen können.«
»Ach so… Ja. Vielen Dank.«
Grynoon nickte ihr und der alten Frau zu. Ich tat dasselbe, und wir gingen hinaus.
»Na?« fragte Grynoon draußen, als wir sicher sein durften, daß uns die beiden Frauen nicht mehr hören konnten. »Sie lügt«, sagte ich.
Grynoon nickte. »Eben, eben. Sie merken auch alles, Cotton.«
Dann gingen wir zurück zum Tatort.
***
Der Spurensicherungsdienst hatte inzwischen einen Teil seiner Routinearbeit verrichtet. Jeder Millimeter des Fußbodens war abgesucht worden, jeder Gegenstand und jedes Möbelstück hatte das Rußpulver aufnehmen müssen, welches Fingerabdrücke sichtbar macht.
»Habt ihr Prints gefunden?« fragte Grynoon.
»Jede Menge, aber alle von nur zwei Personen. Eine davon ist der Tote.«
»Die zweite dürfte seine Frau sein, womit denn wieder einmal klar wäre, daß uns der Täter keine Prints hinterlassen hat.«
»Es sei denn, die Frau wäre die Mörderin«, sagte ich leise.
Grynoon sah mich verdattert an.
»Wie kommen Sie denn darauf, Cotton?«
»Ich sage ja nicht, daß sie es war. Ich sage nur, daß sie es ebensogut gewesen sein kann, wie fast jeder andere hier im Dorf.«
»Aber was soll sie denn für ein Motiv gehabt haben?«
»Oh, da gibt es mindestens zwei. Nummer eins ist, daß ihre Ehe anscheinend nicht sehr gut war.«
»Wer sagt das?«
»Es wird im Dorf erzählt. Und in so einem kleinen Nest wie hier ist an Gerüchten meistens etwas dran. Die Leute können sich aus nächster Nähe beobachten, da sieht man manches, was in den großen Städten nicht wahrgenommen wird. Bird Brownie, Sie erinnern sich, der ehemalige Jagdflieger, soll ziemlich hinter der Frau hergewesen sein. Und dann ist da noch ein gewisser Tom Raller, ein Farmer hier in der Gegend, der auch seine Augen auf die Frau geworfen hat. Dieser Farmer war übrigens vor einer Viertelstunde draußen auf der Straße, obwohl doch seine Farm sechs Meilen von hier entfernt ist! Ich fragte ihn, was er zu so später Stunde hier im Dorf wollte, und er sagte dasselbe, was die Frau des Toten uns erzählte: Er hätte nicht schlafen können und wäre spazierengegangen. Ich finde aber Nachtspaziergänge von zusammen zwölf Meilen ein wenig seltsam.«
»Donnerwetter!« brummte Grynoon. »Das ist wirklich seltsam. Also die Frau hatte zwei Bewerber: Bird Brownie und Tom Raller. Beide Männer haben ein Motiv, Quire umzubringen. Nehmen wir an, beide hätten die Frau heiraten wollen, aber Quire wäre nicht bereit gewesen, sie freizugeben. Schon ist ein Grund da, warum man ihn umlegen sollte.«
»Genausogut kann es die Frau auch selber getan haben.«
»Das auch, wenn ich mir das auch kaum vorstellen kann — Doc, kommen Sie doch mal her!«
Der alte weißhaarige Polizeiarzt der Mordkommission ließ sein angefangenes Protokoll liegen und kam herein.
»Wann trat der Tod ein, Doc?«
»Gegen halb zwölf Uhr. Bis zu fünfzehn Minuten vor halb und fünfzehn Minuten nach halb. Innerhalb dieser Zeitspanne auf jeden Fall.«
»Todesursache?«
»Stich mit zweischneidigem Gegenstand, etwa einem Dolch, metallenem Brieföffner oder so etwas Ähnlichem. Die Waffe ist etwa sechzehn
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