0033 - Die Dämonengöttin
Laut drang an ihre Ohren.
Entschlossen schickte sie sich an, den Wall zu erklettern. Es war ein schwieriges Unterfangen, denn für jeden Schritt, den sie nach oben schaffte, glitt sie einen halben wieder zurück.
Bald ging ihr Atem schnell und schneller und sie begann zu keuchen wie ein kurzatmiges Pferd.
Schweiß perlte auf ihrer Stirn, der aber in Sekunden von dem warmen Wind getrocknet wurde. Sie machte eine kurze Pause und versuchte ihr Glück, indem sie sich bemerkbar machte.
»Großvater, Abd El Naftali, wo seid ihr?«
Ihre Stimme verhallte ungehört. Keine Reaktion erfolgte, keine Stimme antwortete, alles blieb still und tot.
Und wieder.
»Großvater, Abd El Naftali, wo seid ihr? Ich rufe euch! Gebt mir Antwort!«
Und wieder blieb alles stumm. Etwas Unbekanntes und nie Gefühltes presste Fatmes Herz zusammen. Sie war nicht abergläubisch, doch die Dämonen der Wüste waren für sie ebenso mögliche Wesen wie ihre Mitmenschen es waren.
Sie hatte den alten Mann immer gewarnt, so weit hinauszugehen.
Doch er hatte sie nur ausgelacht.
»So alte Männer wie mich verschmähen sogar die Geister der Wüste. Mir kann nichts passieren. Außerdem weiß ich, wie ich mich zur Wehr zu setzen habe.«
Das hatte der Alte immer gesagt, wenn sie ihn vor den unbekannten Gefahren der Sahara gewarnt hatte. Und was konnte sie ihm noch viel erklären? Er war so erfahren, kannte sich so im Leben aus, dass er sie ausgelacht hätte, wenn sie ihm seine Exkursionen verboten oder ausgeredet hätte.
Fatme raffte sich auf. Sie war wieder zu Atem gekommen. Und sie musste weiterklettern.
Noch zwei Meter, und sie hatte den Rand des Walles erreicht.
Dann würde sie ihren Großvater sehen können, den sie über alles liebte und der ihr großes Vorbild war.
Ein letzter Schritt noch, und sie stand oben.
Sie blickte erst über die Oase hinweg und dann hinunter in die Grube.
Ein schriller Schrei klang auf.
Sie riss sich den Schleier vom Gesicht und entblößte ein ebenmäßiges Gesicht. Mit einem verzweifelten Sprung landete sie in der Senke.
Ihr Herz blieb fast stehen.
Gebannt starrte sie auf die Hände, die sich grotesk aus dem Sand wanden und einen schwarzen Stein festhielten. Die Hände sahen so aus, als wären sie versteinert.
Zögernd tastete sich das Mädchen vor. Sie streckte ihre Hand aus und wagte es, eine Hand zu berühren.
Trotz der brutalen Sonnenhitze war sie eiskalt. Als hätte sie sich verbrannt, so riss Fatme die Hand wieder zurück.
Der Stein hatte es ihr angetan. Sie konnte ihre Augen nicht davon lösen. So stark musste der Eindruck dieses Steins sein, dass Fatme auch nicht daran dachte, sich davon zu überzeugen, zu wem die Hände gehörten. Es schien sie gar nicht zu interessieren.
Nur der Stein war ihr wichtig. Ihn schaute sie an, und ihre Lippen formten unablässig irgendwelche Worte.
Sie berührte den Stein.
Ein verzehrendes Feuer durchpulste ihren Körper. Sie zuckte und wand sich wie unter Stromstößen. Ihre Augen waren weit aufgerissen. Die Pupillen hatten sich nach hinten gedreht, und nur das Weiße der Augäpfel gab dem Gesicht einen unvorstellbaren, einen grauenhaften Ausdruck.
Fatme bekam von alldem nichts mit. Sie war das Opfer geheimnisvoller Mächte, die mit ihr ein Spiel trieben und sie als Werkzeug ihrer Launen benutzten.
Ihre Hand umfasste den Stein. Wie festgeschweißt lagen ihre Finger auf der glatten Oberfläche der sonderbaren schwarzen Substanz.
Etwas zwang sie, den Stein zu nehmen, den Händen, die einem Toten gehören mussten, zu entreißen. Sie packte fester zu. Ihr Blick wurde unklar, fern, die Pupillen erschienen wieder und ließen das Gesicht der jungen Frau wieder menschlich aussehen.
Doch sie weilte mit ihren Gedanken und Vorstellungen in einer anderen Welt, einer Welt, die ihren Ursprung nicht im Hierseits hatte.
Ein fast brutal zu nennender Ruck.
Ein leises Krachen erscholl.
Schlaff wichen die Finger des im Sand Begrabenen auseinander.
Fatme hatte der Leiche durch ihre gierige Bewegung die Finger gebrochen.
Aber sie hatte den Stein. Und darauf allein hatte sie es abgesehen.
Der allein war ihr wichtig, und ließ sie alles vergessen, das vorher ihr Leben bestimmt hatte.
Jetzt trieb sie nur der Drang, mit ihrem Fund allein zu sein.
Ohne sich weiter um die Leiche unter dem Sand zu kümmern, erhob sie sich und kletterte aus der Grube.
Auf dem Kamm des Walles warf sie noch einen Blick zurück auf die Hände, die nach wie vor aus dem Sande ragten.
Ein seltsames
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