004 - Der Dämon mit den Totenaugen
war nicht allein – er war umgeben von Tausenden von
Zuschauern, die jede seiner Bewegungen registrierten, sich hämisch darüber
freuten, wenn er stolperte, über den Boden kullerte, sich wie ein Igel
zusammenrollte und mit kantigen Verrenkungen wieder auf die Beine kam. Manchmal
meinte er, über das hartgefrorene Spielfeld zu stürmen, auf der Suche nach dem
Ausgang – und die unsichtbaren Zuschauer johlten, schrien, pfiffen – und über
allem war immer wieder die höhnische, eiskalte Stimme zu vernehmen ...
»Lassen Sie die Finger von Dingen, die Sie nicht verstehen, Brent! Hören
Sie sich das, was wir Ihnen sagen, genau an. Es ist eine Warnung. Eine weitere
wird es nicht geben. Das nächste Mal gehen wir nämlich nicht so zimperlich mit
Ihnen um!«
Beifall, Pfiffe, Schreie – die Lautsprecher dröhnten, und die Geräusche
schienen sein Trommelfell zu zerreißen.
Larry Brent wollte seine Arme hochheben. Doch es war nur eine
zeitlupenhafte, entsetzlich langsame Bewegung. Er stöhnte. Begann zu laufen.
Doch Zentnergewichte hinderten ihn daran, schneller zu werden. Sie schienen ihn
mit den Füßen an den Boden zu ketten. Er kam nur millimeterweise voran, und es
war wie in einem Alptraum, wenn man versuchte, vor einer tödlichen Gefahr
davonzulaufen und doch immer wieder nur auf der Stelle trat.
Doch dies hier war kein Alptraum, sondern grausame, unverständliche
Wirklichkeit.
Sie hetzten ihn, sie jagten ihn – und er konnte nicht entkommen.
Er lief immer nur im Kreis und war ihren schrecklichen Geräuschen und
dieser unheimlichen Welt ausgesetzt, diesem leeren, gähnenden Stadion, das zu
seinem Gefängnis geworden war.
Das Herz in seiner Brust schlug wie rasend, und er meinte, sein Brustkorb
würde jeden Augenblick gesprengt. Er nahm alles wie durch dicke, wabernde Watte
wahr. Dennoch war sein Bewusstsein nicht völlig ausgeschaltet.
Das Gefühl für Raum und Zeit allerdings war ihm vollkommen abhanden
gekommen.
Er wusste nicht, wie lange er unterwegs war, wie lange er verzweifelt
suchte, ohne zu wissen, was – als er urplötzlich vor einem Eingang stand und
sah, wie das Tor langsam und lautlos zurückwich. Links führten schmale Stufen
in die Tiefe zu den Mannschafts- und Massageräumen. Er starrte sekundenlang
nach unten, an den weiß lackierten Wänden und Türen entlang. Raum und Zeit
schienen sich verbogen zu haben, die Wirklichkeit mischte sich mit der
Traumwelt, in der er lebte und litt.
Und wieder begann er zu rennen. Zumindest kam es ihm so vor, als ob er
liefe. Im nächsten Moment aber hatte er wieder das Gefühl zu schweben, und es
wurde ihm plötzlich sehr leicht zumute. Dieser Zustand dauerte lange an.
Hinter ihm zurück blieb das brodelnde, brüllende Stadion, das Stadion auf
Randalls Island, das er aus eigenem Antrieb aufgesucht hatte, um eine bestimmte
Person zu verfolgen und zu beobachten. Und wieder hallte die Stimme aus den
Lautsprechern dröhnend durch die frostkalte Nacht. »Breeennntt! Nehmen Sie sich
in Acht! Breeennntt!«
Larry verhielt im Schritt und krallte sich mit zitternden, klammen Fingern
an einen kahlen Baumstamm, der am Straßenrand stand. Er atmete schnell und
flach, der kalte Schweiß perlte von seiner Stirn. Sein Atem stieg dampfend vor
seinem Gesicht auf, und er wusste nicht mehr, ob er noch lebte oder schon tot
war ...
Kein Mensch weit und breit. Leer und verlassen lagen die Straßen und
Parkplätze in seinem Blickfeld. Larry Brent sah seine zerrissenen,
blutdurchtränkten Hemdsärmel. Er hatte kein Jackett mehr an? Und schon wich der
Gedanke wieder weit in sein Unterbewusstsein zurück. X-RAY-3 taumelte und
stolperte vorwärts. Hinein in die Nacht, den Platz suchend, wo er seinen Wagen
geparkt hatte ...
»Koslowski?« Er suchte seinen Begleiter. Plötzlich wusste er, dass er
allein war.
Henry Koslowski – wie mit flammenden Buchstaben stand der Name plötzlich
wieder vor seinem geistigen Auge. Er hatte den Auftrag, Koslowski zu beschatten
... Aber Koslowski war verschwunden ... Warum war er verschwunden, und wohin?
Diese Fragen hämmerten in ihm in stetem Rhythmus, und er kam nicht mehr los von
ihnen ...
●
Ted Forman wagte kaum zu atmen. Er riss ein Streichholz nach dem anderen an
und betrachtete im Schein die eigenartige, unheimliche Wand. Dann ging er an
dieser entlang, Schritt für Schritt, Meter für Meter. Überall das gleiche ...
Er befand sich in einer Gruft. An der Wand neben ihm reihte sich ein Grabstein
an den anderen.
Die Grabplatten
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