004 - Geister im Moor
aufgehört, an sie zu denken. Ich dachte sogar immer öfter an sie. In der Hoffnung, sie zu sehen, war ich mehrmals in der Umgegend des Schlosses von Roaldmor spazieren gegangen. Ich wagte es nicht, einfach hinzu gehen. Das Schloss sah von weitem genauso aus wie auf der Lithographie in meinem Zimmer: düster und romantisch. Ich wusste, dass Betty inzwischen mehrmals in Guilclan gewesen war, aber jedes Mal war ich gerade nicht da gewesen. Einmal hatte ich sie um Haaresbreite verpasst – ich sah ihr Auto noch den Berg hinunterfahren.
»Ist er mit seiner Tochter hergekommen?« fragte ich.
»Nein, er war allein.«
Die Tage vergingen, und wenn sie mir auch nicht das brachten, was ich mir erhofft hatte, so interessierte mich doch Guilclan weiterhin sehr. Auf jeden Fall war ich überzeugt, das ich einen recht spannenden Roman mit lauter merkwürdigen Gestalten schreiben würde. In dem Hotel fühlte ich mich wohl. Die Kost war gut, und an die schwarzen Vorhänge in meinem Zimmer hatte ich mich gewöhnt. Mrs. Gull hatte mich merkwürdig angesehen, als ich sie danach fragte, und erklärt, sie fände, Schwarz sei eine schöne Farbe und alle Vorhänge in ihrem Haus wären schwarz. Wenn sie manchmal auch etwas mysteriös wirkte, so war sie mir gegenüber doch immer liebenswürdig. Sally hatte mit der Zeit ihre Angst vor mir verloren und räumte sogar mein Zimmer auf, wenn ich da war. Die Abende verbrachte ich im Allgemeinen in der Gesellschaft des Doktors, entweder im großen Saal, wo wir uns manchmal zu den übrigen Stammgästen setzten, oder in einem kleinen Nebenraum, wenn wir unter uns sein wollten. Arnold hatte mir inzwischen eine Menge Dinge über eine Menge Leute erzählt, genug, um sechs Romane zu schreiben – aber leider keine phantastischen Romane.
Eines Abends war der Doktor etwas stärker betrunken als sonst und daher besonders redselig. Wir saßen allein in dem kleinen Zimmer, und er sang wieder einmal ein Loblied auf unsere Wirtin, die er stets mit ihrem vollen Namen nannten – Mrs. Gulliburbory.
»Sie scheinen sich bestens mit ihr zu verstehen«, meinte ich. Eines Nachts, als ich nicht schlafen konnte, war ich hinuntergegangen, um etwas zu trinken zu holen und eine Tablette zu nehmen, und da hatte ich ihn aus dem Zimmer von Mrs. Gull kommen sehen.
Der Doktor zwinkerte mir zu. »Sie Gauner! Aber warum sollte ich Ihnen verheimlichen, was ohnehin jeder hier weiß? Warum sollte ich sonst meine Mahlzeiten hier einnehmen? Ich habe ein sehr schönes Haus in Guilclan. Ich werde es Ihnen mal zeigen, wenn Sie der Modergeruch nicht stört. Ich habe sehr schöne alte Sachen. Meine Vorfahren haben hier auch schon seit der Steinzeit gelebt, und seit Generationen sind wir alle Ärzte, vom Vater auf den Sohn. Nun ja, etwa zur gleichen Zeit, als ich Waise wurde, segnete der arme Jonathan Gulliborbory das Zeitliche, und seitdem komme ich hierher. Damals war Leila Gulliburbory eine bildhübsche Brünette. Wir waren beide allein … Außerdem trinke ich nicht gern ohne Gesellschaft. Ich bin ein eingefleischter Junggeselle, aber vielleicht heirate ich Leila eines Tages doch noch – was an der Situation übrigens nicht viel ändern würde.«
»Leila – ein seltener Name.«
»Ja, Leila Gulliburbory, geborene Donoulos. Sie ist die Kusine von Donoulos, dem Heilpraktiker.«
Daraufhin nahm er einen großen Schluck Whisky aus seinem Glas und versank in Schweigen. Nach einer Weile fragte ich ihn nach Sally und erinnerte ihn an sein Versprechen, mir zu erzählen, was ihr passiert war.
»Sally? Es wäre besser, nicht darüber zu reden. Ich habe es Ihnen versprochen? Nun gut! Ich war noch ein ganz junger Arzt, und eines Nachts wurde ich um Mitternacht von einem Mann geweckt. Er brachte mich zu Sally, die in einem fast verfallenen Haus im unteren Stadtteil lebte. Als wir ankamen, war das Haus voller Leute. Sally saß in einem Sessel und stieß erstickte Schreie aus. Ich beugte mich über sie. Ich kann Ihnen nicht beschreiben, was ich sah, als sie ihren Mund öffnete. Ich weiß nicht mehr, wie ich es fertig brachte, sie zu behandeln, sosehr zitterten mir die Hände. Es ist zu schrecklich. Übrigens habe ich niemals eine logische Erklärung für diese Geschichte gefunden. Es war das einzige Mal in meinem Leben, wo ich einen Augenblick lang versucht war, an das Übernatürliche zu glauben. Aber ich möchte mich lieber nicht mehr daran erinnern. Nein, bitte, lassen Sie uns nicht mehr davon sprechen!«
Es war nichts zu machen, er wollte
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