004 - Kerry kauft London
ein Mädchen verliebt, das er irgendwo aufgelesen hatte.
Sie war ihm so wertvoll, daß er sie mit seinen Geheimnissen vertraut machte. Dieses Mädchen hatte alles, wonach Hermann Zeberlieff sich sehnte. - Einmal hatte er Gelegenheit gehabt, King Kerry am nächsten zu stehen, an erster Stelle unter seinen Freunden, mit seinem Vertrauen beehrt; und sein Vermögen war in dem Maße, wie das des Millionärs sich vergrößerte, auch gewachsen.
Er hatte sich die Gelegenheit entgehen lassen, und dieses Mädchen hatte alles genommen, was er verachtet hatte. - Nur ein Umschlag war noch zu prüfen. Von dessen Inhalt hing Hermanns Zukunft ab.
Er hatte die Aufschrift flüchtig gelesen. Insoweit war er befriedigt, daß er sich nicht getäuscht hatte; auf dem Umschlag stand geschrieben: »Betrifft meine Ehe.«
Er räumte alle anderen Papiere weg und verschloß sie in einer Schublade seines Schreibtisches. Dann öffnete er den einen Umschlag, den er zurückgelassen hatte. Er enthielt zwanzig engbeschriebene Bogen Papier. Aufmerksam las er Bogen für Bogen durch, bis er die gesuchte Stelle fand. Er hatte eine andere Fassung erwartet und war im ersten Augenblick enttäuscht, nicht mehr zu finden als die eine Angabe, die er jetzt las. Aber die Stelle behob wenigstens jeden Zweifel - er las sie immer und immer wieder und prägte sich den Wortlaut ein, bis er ihn auswendig kannte. Er lautete:
»Meine Heirat war ein Unglück. Das Warum ist aus dem Vorhergehenden ersichtlich. Henriettes Mutter war in einer Irrenanstalt gestorben, was ich vor der Hochzeit nicht gewußt hatte. Die Mutter hatte ihrer Tochter etwas von ihrem willensstarken Charakter, aber auch den völligen Mangel an Verantwortungsgefühl vererbt.
Die Gesetze der Vereinigten Staaten waren ihr ganz unbekannt, und daher erklärt sich auch wahrscheinlich das Verbrechen, das sie begangen hatte - um ihrer Tochter willen. Als ich Henriettes wirklichen Charakter entdeckte, als ich zur vollen Erkenntnis ihrer furchtbaren, sie völlig beherrschenden Leidenschaft kam, als ich einsah, wie völlig unmöglich eine solche Ehe sei, da wurde mir klar, in was für eine entsetzliche Lage ich geraten war. Ich liebte Henriette nicht; ich glaube auch nicht, daß sie zu irgendeiner Zeit meines Lebens das unbedingte und gläubige Vertrauen, das die Grundlage der Liebe ist, in mir erweckt hat. Der Zauber einer schönen Frau hatte mich geblendet, ihre exotische Schönheit hatte mich aus der Bahn geworfen - sie war in jenen Tagen kaum mehr als ein Kind.
Ich befragte meinen Anwalt. Vor der Hochzeit hatte ich meine Verfügungen getroffen und hatte für sie in meinem Testament zehn Millionen Dollar im Falle meines Todes ausgesetzt. Jetzt wollte ich wissen, wieweit ich durch jenen Kontrakt gebunden war.
Es lag nicht in meiner Absicht, sie um ihr Erbe zu bringen, obgleich ein großer Teil ihres mütterlichen Besitzes ihr zufallen würde. Sie hätte den Verlust nicht gespürt, wenn ich meinen Heiratsantrag hätte annullieren können. Aber die Anwälte erklärten mir, dies würde nicht möglich sein, ohne daß die Sache an die große Glocke käme, was ich zu vermeiden wünschte; und selbst dann wäre es zweifelhaft, ob ich gewinnen würde.
Es ist ein furchtbarer Gedanke, daß diese Frau durch meinen Tod in den Besitz eines solchen Vermögens kommen soll - furchtbar, weil ich bestimmt weiß, daß Hermann Zeberlieff nicht zögern würde, mich umzubrin gen, wenn er wüßte, daß Henriette dadurch etwas gewinnt.«
Hermann las das Blatt durch und faltete es mit einem stillen Lächeln zusammen.
»Du hast ganz recht, mein Freund. Henriette hat einen sehr treuen Bruder.«
Er verschloß das Dokument in seinem Safe; dann stand er grübelnd am Kamin.
»Ich möchte wohl wissen, warum ich Feuerwaffen hasse«, sagte er halblaut. »Das scheint mir jetzt das einzige zu sein, was helfen kann.«
»Es ist aus mit dir!« Er drohte mit der Faust. »Es ist aus mit dir, King Kerry …! Arme Henriette!« Er lächelte wieder.
Wo war diese Frau King Kerrys?
Hermann wußte es - sehr genau wußte er es.
Else, die sich in ihrem zerwühlten Bett in Chelsea ruhelos, schlaflos von einer Seite auf die andere warf, dachte und dachte und konnte der Lösung des Rätsels doch nicht näherkommen.
Als die Morgensonne in ihr Zimmer flutete, war sie noch wach und dachte immer noch nach.
Kapitel 29
»Sie wollen mich sprechen, Herr Kerry?« Vera sieht heute morgen schön aus, dachte Kerry. Sie erinnerte ihn etwas an ihre Schwester
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