004 - Kerry kauft London
Zeberlieff fiel seitwärts zu Boden.
Kerry kniete neben ihm nieder und stützte seinen Kopf.
»Oh …!« keuchte Hermann im Sterben. »Das ist ziemlich günstig für dich und deine Else.«
Einer der Polizisten beugte sich über ihn.
»Er ist tot!« sagte er, als er das Hemd am Halse des still Daliegenden lockerte. Plötzlich sprang er auf.
»Mein Gott!« keuchte er. »Es ist eine Frau!«
Kerry nickte. »Meine Frau«, murmelte er und blickte auf die Tote zu seinen Füßen.
»Ich hatte es nie geahnt - niemals.«
Veras Augen standen voll Tränen.
»Und doch, jetzt, wenn ich darüber nachdenke - sie erlaubte mir nie, ihr Zimmer zu betreten, sie erlaubte nie einem Diener, ihr behilflich zu sein. Und ich erinnere mich jetzt an so vieles, das meinen Verdacht hätte erregen können.«
»Ihre Mutter hat die Schuld«, sagte King Kerry. »Sie kannte die Gesetze der Vereinigten Staaten nicht und stand unter dem Eindruck, daß der Besitz Ihres Vaters von selbst an einen Sohn fallen würde, dagegen eine Tochter nicht erbberechtigt sei. Sie flehte um einen Sohn, und als Henriette zur Welt kam, war das arme Weib außer sich. Der Arzt wurde bestochen, die Geburt eines Knaben zu bescheinigen, und Tante und Mutter erzogen sie als Jungen. Erleichtert wurde diese Täuschung durch Henriettes Charakter - denn Henriette hatte Gebaren und Charakter eines Mannes. Sie war ein Mann darin, daß sie weder Mitleid noch Gewissensbisse kannte. Sie duldete, daß sich ein schönes Mädchen in sie verliebte, und verriet ihm nicht ihr Geheimnis. Als es entdeckt wurde, verübte das junge Mädchen Selbstmord. - Sie kennen wahrscheinlich die Geschichte …«
»Ich weiß«, stammelte Vera, »aber ich glaubte …«
»Jedermann glaubte das«, sagte Kerry.
»Eine ihrer Tanten bekam es mit der Angst zu tun und ließ das Mädchen nach Denver kommen, wo sie ein Gut hatte. Sie ließ ihr Haar lang wachsen und kleidete sich als Mädchen. - Dort sah und heiratete ich sie.
Aber der Zauber des alten Lebens - sie war Spekulanten der Wall Street in die Hände gefallen - war zu stark.
Sie wollte für einen Mann gehalten werden, wollte ihre Geschäftstüchtigkeit, ihren scharfen Verstand als Mann gepriesen hören. Sie machte zwei oder drei sehr gute Spekulationen, und das war ihr Verderb. Sie verließ mich und ging nach Wall Street zurück. Ich verhandelte mit ihr; aber mit einem Appell an Henriettes Vernunft war nichts zu erreichen. Sie lachte nur. Am nächsten Morgen brachte sie einen Spekulantenring gegen mich zustande -ruinierte mein Geschäft - mit meinem Geld. Ich machte mir nichts daraus; man kann immer wieder zu Geld kommen. Aber sie setzte ihr Vorhaben fort. Ich handelte mit Korn und drückte die Preise herunter. Sie und ihre Freunde kauften die gesamte Weltproduktion auf, wie sie meinten. Ich machte sie kaputt und gab ihr eine Million, damit sie wieder anfangen konnte. Aber von dem Augenblick an haßte sie mich und verfolgte mich mit boshaften …« Er brach ab. »Gott steh mir bei!« sagte er traurig. »Gott steh allen Frauen bei - guten und schlechten!«
Vera Zeberlieff nickte nur.
King Kerry besuchte zwei Monate später Else. Er traf unerwartet in Genf ein, wo sie ihren Urlaub verlebte. Sie begegnete ihm auf dem Quai des Alpes und war glücklich, als sie ihn sah.
Er war wieder jung, die Falten waren aus seinem Gesicht verschwunden, und seine Augen strahlten vor Gesundheit.
»Ich komme eben von Chamonix, wo ich eine Villa gemietet habe.«
»Wollen Sie dort für immer wohnen?« fragte sie niedergeschlagen.
Er schüttelte energisch den Kopf.
Ein Wagen fuhr an ihnen vorbei, und sie hatte Mühe, ein Lächeln zu unterdrücken.
»Wer ist das?« fragte er.
»Erinnern Sie sich noch an Herrn Hubbard?«
Er nickte; er erinnerte sich der »Schönheit« sehr gut.
»Er hat eine furchtbar häßliche Frau geheiratet, und sie wollen ihre Flitterwochen hier verbringen.«
Er nickte wieder. »Seine Wirtin«, erklärte er grimmig. »Das ist poetische Gerechtigkeit.«
»Aber die allerpoetischste Gerechtigkeit«, lachte sie, »ist jedenfalls die, daß Vera und Herr Bray auf ihrer Hochzeitsreise in demselben Hotel wohnen.«
»Das ist hart«, gab King Kerry lächelnd zu, »und, wie Sie sagen, sehr gerecht.«
»Wirklich schrecklich«, bemerkte sie, »wieviel Hochzeitsreisende es hier in Genf gibt.«
Er legte seinen Arm um sie und führte sie am Kai entlang.
»Wir werden ihre Zahl nicht vermehren; wir gehen nach Chamonix.«
»Wann?« fragte das Mädchen
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