0041 - Die Treppe ins Nichts
in der Not zueinander standen. Und wo Professor Zamorra hinging, pflegten sich die furchterregendsten Ereignisse geradezu zu überstürzen. Es war nicht einfach mit ihrem Professor. Aber um nichts in der Welt hätte sie diesen Job aufgegeben.
»Zieh dich warm an«, sagte Professor Zamorra. »Dort oben ist es kalt.«
Nicole lächelte leicht. »Aber es wird heiß hergehen?«
Zamorra antwortete nicht. Er schaute Nicole nur ernst an. Sehr ernst an.
»Kein Grund zum Scherzen, Nicole. Wenn es eine Versicherung gegen Henker gäbe, würde ich dir raten, sofort eine abzuschließen. Wir fahren noch heute Nacht los. Packe nur das Allernotwendigste ein.«
***
Ainsa eine Stadt zu nennen, wäre leicht übertrieben gewesen. Ein kleineres Städtchen vielleicht, dessen schmalbrüstige Häuser wie braune Schnecken an einen Berghang geklebt schienen. Rund fünftausend Einwohner lebten in dem Ort. An den Routen des Urlauberstroms liegt es nicht, und deshalb konnte man hier das nördliche Spanien noch ziemlich urwüchsig erleben. Die Gassen waren eng und mit einem stoßdämpfermordenden Kopfsteinpflaster belegt.
Der schwarze Citroën des Professors schluckte die Unebenheiten trotzdem. Vor ein paar Jahren war eine Umgehungsstraße gebaut worden, die den Ort rechts liegen ließ. Aber Zamorra hatte die Abzweigung gewählt. Bis zur sagenumwobenen Burg des Henkers waren es zwar noch etliche Kilometer, doch Zamorra wählte eben dieses Städtchen zu seinem Stützpunkt, weil von hier aus auch der Bäcker und seine Töchter verschwunden waren.
Obwohl er einen Tag vorher noch mit dem Gendarmerieposten telefoniert hatte, vermied er es jetzt, sich den Beamten zu erkennen zu geben. Ihm war es lieber, wenn er auf eigene Faust recherchieren konnte. Das Notwendigste hatte er ohnehin schon erfahren.
Und die Tatsachen sahen nun einmal so aus, dass auch die Polizei nichts über das Verschwinden des französischen Bäckers wusste.
Aus seinem Michelin-Reiseführer wusste er, dass es hier ein kleines Hotel gab, das sogar mit zwei Sternen ausgezeichnet war. Für diese Umgebung ein fast luxuriöses Domizil. Das Hotel Esplanada sollte an einer breiteren Seitenstraße in der Nähe des Ortszentrums liegen. Zamorra hatte seinen Besuch telefonisch angekündigt und Zimmer bestellt.
Er war etwas früher dran, als er gedacht hatte. Vom Doppelturm der Kathedrale schlug es gerade die Mittagsstunde. Heiß knallte die Sonne auf den kreisrunden Platz in der Mitte des Städtchens. Die Kulisse hatte sich kaum verändert, seit hier an diesem Ort vor fünfhundert Jahren der Henker Jaime y Ronza von einer wütenden Volksmenge ins Feuer geworfen wurde.
Über der Stelle war ein Sockel errichtet worden, auf dem eine Madonna mit dem Jesuskind stand. Eine verwitterte Inschrift auf dem Sockel besagte, dass die Madonna von Ainsa die Stadt und ihre Bewohner für immer beschützen und vor den Mächten der Finsternis bewahren möge. Rund um die Statue waren Blumen gepflanzt, die ihre Köpfe in der Hitze hängen ließen.
Nicole parkte den Wagen vor der Kirche, und sie stiegen aus. Sie war froh, sich nach der langen Fahrt endlich wieder die Beine vertreten zu können. Das letzte Drittel des Weges hatte sie den schweren Wagen gesteuert.
»Ich habe Durst, Chef«, sagte sie.
»Das wundert mich nicht«, antwortet Professor Zamorra. »Bei dreißig Grad im Schatten?«
Sie steuerten eine der Bodegas an, die den Platz säumten. Billige Plastikstühle standen vor den Cafés und Tavernen. Auf ihnen saßen alte Männer mit grauen Stoppelbärten und Baskenmützen auf dem Kopf.
Doch dass auch sie reinblütige Spanier waren, bewiesen sie damit, dass mindestens drei von ihnen den zahnlosen Mund zu einem Pfiff spitzten.
Nicole sah aber auch wirklich zum Anbeißen aus. Sie trug ein kurzes rotes Kleid, das ihre langen Beine und ihre hervorragende Figur gekonnt zur Geltung brachte. Sie sah so sexy aus, wie es ihrem Naturell entsprach. Die alten Männer schauten hinterher, als der kleine Po aufreizend an ihnen vorbeiwippte.
Zamorra schmunzelte. War das der Besitzerstolz, der ihn jetzt lächeln ließ?
Unbewusst schüttelte er den Kopf. Nein, das konnte es nicht sein.
Im Gegenteil. Der Damm, der sie bisher von körperlichen Kontakten abgehalten hatte, war gebrochen worden. Und oft gab es Sekunden, da wünschte Zamorra, dass Nicole seine Frau würde. Doch bei nüchterner Überlegung musste er zugeben, dass sein Leben, das er führte, nicht gerade die ideale Voraussetzung für eine Ehe
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