0045 - Die Werwölfe von Wien
herauszuspringen.«
Suko grinste. »Urlaub, mit dem er sicherlich nichts Richtiges anzufangen weiß.«
»Wer sagt das?« widersprach ich meinem chinesischen Partner brummig.
»Hör mal, wir kennen dich doch, John«, gab der Hüne zurück. »Du fühlst dich im Grunde genommen am wohlsten, wenn du bis zu den Augenbrauen in Arbeit steckst.«
»Da kennt ihr mich aber verflixt schlecht. Ich kann’s sehr gut auch ohne Arbeit aushalten. Soll ich es euch beweisen? Soll ich meine Badehose einpacken und auf die Bahamas fliegen?«
Suko machte eine wegwerfende Handbewegung. »Wie oft hast du das schon tun wollen, und noch nie ist daraus etwas geworden.«
»Dann wird’s eben diesmal was!« gab ich trotzig zurück.
Trotzig deshalb, weil ich paradoxerweise der einzige in dieser Runde war, der John Sinclair verkannte. Suko hatte ein wahres Wort gesagt. Meine Freunde kannten mich besser als ich mich selbst. Ich eigne mich nicht dazu, auf der faulen Haut zu liegen und die anderen für mich die Kastanien aus dem Feuer holen zu lassen. Das bringe ich nicht fertig.
Das Telefon schlug an. Sheila Conolly verließ die Wohnmulde. Meine Augen folgten ihr. Sie erreichte das Telefon und hob ab. Das Klingeln verstummte. Ich sah Sheila nicken.
Dann hörte ich sie sagen: »Ja, ja, Mister Ballard. Er ist hier. Nein, es macht absolut nichts, daß Sie hier anrufen. Unsinn. Sie stören nicht. Johns Freunde sind auch unsere Freunde. Einen Moment, ich rufe ihn ans Telefon.«
Sie brauchte mich nicht mehr zu rufen, denn ich war bereits aufgestanden und zu ihr geeilt.
Sie hielt mir den Hörer hin. Ich ergriff ihn. »Tony, altes Haus. Wie geht’s denn so? Vor einer Minute erst haben wir von dir gesprochen.«
»Wenn man von der Sonne spricht, dann scheint sie, was?« kam die sympathische Stimme des Privatdetektivs durch den Draht.
Ich lachte. »Den Spruch kenne ich anders: Wenn man vom Teufel spricht…«
»Ja, ja. Und wenn du zu John Sinclair gehst, vergiß die Peitsche nicht! Es gibt eine Menge wunderbarer Sprüche. Es war übrigens nicht leicht, dich zu finden, John. Zu Hause warst du nicht. Bei Scotland Yard sagte man mir, du hättest ein paar Tage Urlaub genommen. Ich befürchtete schon, du wärst außer Landes.«
»Wieso?« fragte ich aufhorchend. Tony schien irgend etwas zu bedrücken. »Brennt es irgendwo?«
»Das kann man wohl sagen.«
»Wo denn?«
»In Wien. Ich hab’ da einen Freund: Vladek Rodensky. Gebürtiger Pole mit österreichischer Staatsbürgerschaft. Brillenfabrikant. Er rief mich heute Mittag an und bat mich, so rasch wie möglich nach Wien zu kommen. Es habe zwei grauenvolle Werwolfmorde gegeben. Ich wäre längst mit Mister Silver auf dem Weg, aber…«
»Aber?« frage ich neugierig.
»Ich trage seit zwei Tagen einen Zinkleimverband. Mein Sprunggelenk ist angeknackst. Es wäre Selbstmord, wenn ich als Verletzter nach Wien fliegen würde. Der Arzt hat mich zu zwei Wochen Ruhe verdonnert. Inzwischen passiert in Wien Gott weiß was.«
Jetzt wußte ich, wie und wo ich meinen Urlaub verbringen würde. »Mach dir darüber weiter keine Sorgen, Tony. Ich springe für dich ein.«
»Eigentlich ist es mir peinlich, dich damit belästigen zu müssen, John.«
»Hör mal, was soll denn der Quatsch? Wir kämpfen doch beide auf derselben Seite. Wir haben es uns zur Aufgabe gemacht, gegen die Ausgeburten der Hölle anzutreten, wo immer sie in Erscheinung treten mögen. Ich wäre auch dann nach Wien gereist, wenn ich von jemand anderem erfahren hätte, daß dort ein Werwolf sein Unwesen treibt.«
»Bleibt dennoch die Tatsache bestehen, daß ich dir deinen Urlaub verdorben habe.«
»Das stimmt nicht, Tony. Ich wußte ohnedies nicht, was ich mit meinen Ferien anfangen sollte.«
»Dafür werde ich dir ein andermal ein blaues Auge schlagen, okay?« sagte Tony Ballard.
»Okay«, erwiderte ich grinsend.
»Ich werde Vladek Rodensky informieren, daß du kommst. Wann gedenkst du zu fliegen?«
»Mit der ersten Maschine morgen früh, die direkt nach Wien geht.«
»Nimmst du Suko mit?«
»Ja.«
»Vladek wird euch in Schwechat abholen«, sagte Tony Ballard. Er bedankte sich noch einmal dafür, daß ich für ihn einsprang, obwohl ich keinen Dank wollte, und er wünschte uns viel Glück für unser Abenteuer in Wien. Das würden wir brauchen…
***
Gerd Kabelka zitterte am ganzen Leib. Schüttelfrost. Es waren die überreizten Nerven.
Der Wagen, der den schrecklichen Werwolf vertrieben hatte, rollte in langsamer Fahrt die
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