0047 - Der Alptraum-Garten
Inseln hatten sie bereits abgegrast, jetzt war Frankreich an der Reihe. Zuerst die Bretagne und die Normandie.
Die Menschen, die hier wohnten, besaßen noch etwas von der Ursprünglichkeit ihrer Vorfahren. Sie waren bodenständig und von einer bestechenden Geradlinigkeit. »Komm, rede schon!« forderte Balmain.
»Ich kann es dir auch nicht genau sagen, aber ich habe ein komisches Gefühl. Wenn wir auf diese Insel fahren, passiert etwas.«
Pierre Balmain lachte. »Du hast dich von den Geschichten der Dorfbewohner verrückt machen lassen, mein Lieber, das ist es. Klar, die Leute hier halten. Lydia La Grange für verschroben und irgendwie hinterwäldlerisch. Manche haben sogar Angst vor ihr. Ein Junge hat mir erzählt, daß es zu einer bevorzugten Mutprobe gehört, zur Insel hinüberzurudern, dort an Land zu gehen, eine Minute stehen zubleiben und schnell wieder wegzufahren.«
»Und warum gehört es zu einer Mutprobe?« fragte Jeffers.
»Weiß ich auch nicht.«
»Ich kann es dir aber sagen, Pierre. Weil die Leute Angst haben. Dort soll es nicht mit rechten Dingen zugehen. Fischer erzählten, daß sie des Nachts Schreie und Stimmen gehört haben, obwohl die Frau ja nur mit ihrem Diener allein dort lebt. Auf der Insel spukt es.«
»Und du glaubst den Fischern auch.« Pierre tippte sich gegen die Schläfe.
»Warum nicht?«
»Mensch, Tom, wir wollen der Alten nur ein paar Fragen über diese Steinfiguren stellen, das ist doch alles. Deshalb braucht man uns doch nicht gleich umzubringen.«
»Hast du dir mal überlegt, woher diese Steinfiguren stammen?«
Pierre sah seinen Kollegen an. »Nein, aber das wollen wir ja herausfinden.« Er schlug dem Engländer auf die Schulter. »Los jetzt, sei kein Frosch, Meister.«
»Ich weiß nicht…«
Pierre Balmain hob die rechte Hand und schnippte mit den Fingern. »Zwei Calvados noch, Monsieur!«
Der Wirt winkte zurück. Tom Jeffers und Pierre Balmain waren die einzigen Gäste. Als der Mann das Tablett mit den beiden Gläsern auf dem Tisch abstellte, beugte er sich vor und flüsterte: »Ich würde an Ihrer Stelle nicht fahren, Messieurs.«
»Und warum nicht?« fragte Balmain.
»Die Insel ist nicht ganz geheuer. Sie ist verflucht. Vor allen Dingen die Figuren…«
»Hör auf!« Balmain winkte ab. »Erzähle das deiner Großmutter und dem Friseur…«
»Ich meine ja nur.« Beleidigt watschelte der Wirt davon. Er hatte in der Tat den Gang einer Ente.
»Auf uns«, sagte Balmain, hob das Glas und kippte den Calvados in die Kehle.
Tom Jeffers nippte nur. Er hatte seinen Freund nicht davon überzeugen können, zurückzubleiben. Aber im Stich lassen wollte er ihn auch nicht. Dazu hatten sie zu viel gemeinsam gemacht.
Balmain schob seinen klobigen Stuhl zurück. »Auf geht’s, Freund«, sagte er und schlug Tom auf die Schulter. »Wenn wir uns beeilen, sind wir gegen Mitternacht wieder zurück.«
»Das hoffe ich stark.«
Pierre blieb stehen. »Wie meinst du das denn?«
Tom Jeffers winkte ab. »Ach – nur so…«
***
Sie schnallten ihre Rucksäcke auf und gingen nach draußen. Tom Jeffers trug den Rucksack mit der wertvollen Kameraausrüstung. Pierres Sack war mit Ersatzteilen für die Kameras gefüllt.
Vor der Tür packte sie der Sturm. Er wehte so heftig, daß beide Männer wieder in die Nische gedrückt wurden.
Pierre schimpfte, Tom sagte nichts.
Sie betraten die mit Kopfsteinen gepflasterte Dorfstraße und gingen zur Anlegestelle hinunter. Kein Mensch ließ sich blicken, denn der Wind hatte auch noch den Regen mitgebracht.
Waagerecht peitschte er ihn über das Land. Die Männer zogen die Kapuzen hoch und schnürten sie fest.
Regennaß glänzte das Pflaster. Der See sah aus wie eine schwarze Fläche. Die Insel war mit bloßem Auge nicht zu erkennen.
Bergab führte die Straße dem See entgegen. Das Pflaster glänzte naß. An der Mole lagen die Kähne der Fischer. Es waren einfache Boote ohne Motoren. Nur wenige hatten ein Segel. Gefischt wurde hier für den eigenen Bedarf.
Das aufgewühlte Wasser bewegte die Boote hin und her. Sie stießen aneinander, wurden wieder zurückgetragen, und trieben abermals gegeneinander.
Das Motorboot fiel auf. Es war ein flacher Kahn mit weit vorgezogenem Bug, aus Kunststoff gefertigt und mit einem Heckmotor versehen. Das blaue Boot mit der schräg stehenden Frontscheibe war ein regelrechter Wasserflitzer, allerdings für Sturmfahrten nicht sehr geeignet.
Pierre und Tom hatten es an einer Mole befestigt. Immer wieder wurde es von
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