0047 - Der Alptraum-Garten
Schritt für Schritt kam er näher.
In der rechten Hand hielt er ein Kurzschwert, in der linken einen runden Schild. Der steinerne Helm thronte auf seinem Kopf.
Ein Denkmal, das laufen kann?
Unmöglich!
Wie konnte ein steinernes Standbild sich bewegen? Wie war so etwas möglich? Das stellte sämtliche Naturgesetze auf den Kopf. Der Mann war aus Stein – der konnte nicht laufen, der mußte…
In Toms Kopf rasten die Gedanken, doch eine Erklärung fiel ihm nicht ein. Er wußte nur, daß hier etwas nicht mehr mit rechten Dingen zuging.
In was war er da hineingeraten?
Sein Freund Pierre war tot. In seiner Brust steckte ein normaler Pfeil, der zuvor noch aus Stein gewesen war.
Tom Jeffers befand sich in Lebensgefahr, denn der Legionär ging weiterhin zielstrebig auf ihn zu.
Tom Jeffers schnellte aus seiner hockenden Stellung hoch. Er wollte sich herumwerfen und fliehen, doch er vergaß den rutschigen Boden, glitt mit dem rechten Bein zur Seite weg, konnte sich nicht mehr halten und fiel hin.
Der junge Mann schlug mit dem Rücken zuerst auf. Unter ihm knirschte etwas. Die sorgfältig behütete Kameraausrüstung wurde zerstört. Doch daran dachte Tom Jeffers nicht mehr, für ihn gab es nur einen Gedanken.
Flucht!
Aber da war noch der Legionär.
Und er befand sich nur noch zwei Schritte von dem auf dem Boden liegenden Tom entfernt.
Er hob den rechten Arm.
Es sah ungelenk aus, aber für Tom Jeffers ging alles viel zu schnell. Panik ergriff ihn, als er sah, daß sich das Kurzschwert verwandelte. Anstelle des Steins schimmerte ihm eine blanke Klinge entgegen.
Da warf sich der junge Reporter herum. Er lag noch nicht ganz auf dem Bauch, als er sich bereits hochstemmte, um noch aus der Bewegung heraus wegrennen zu können.
Zu spät.
Das Kurzschwert pfiff durch die Luft – und bohrte sich in den Rucksack des Reporters.
Tom Jeffers spürte den mörderischen Schlag im Rücken, rechnete mit dem alles erlösenden Ende, mit der unendlichen Schwärze, aus der es kein Erwachen mehr gab, doch um so mehr wunderte er sich, daß er weiterlaufen konnte.
Er war nicht verletzt!
Die Metallteile der Kameras hatten den Schwerthieb abgelenkt.
Diese Erkenntnis kam ihm nach wenigen Schritten, und sie beflügelte ihn. Tom Jeffers rannte wie noch nie zuvor in seinem Leben. Die Beine schienen sich selbständig zu machen. Die Füße klatschten in Pfützen, sie wirbelten Schlamm und Dreck hoch.
Instinktiv fand Tom Jeffers den Weg, den er und Pierre Balmain zuvor gekommen waren.
Er verlief sich nicht ein einziges Mal und rannte in den wilden Wald hinein, so daß die kahlen Äste und Zweige über seine Kleidung schrammten.
Dann brach er in die Knie.
Schwer atmend blieb Tom auf dem nassen Boden liegen. Er konnte nicht mehr, mußte sich erst ausruhen.
Die Angst trieb ihn wieder hoch. Taumelnd kam er auf die Füße, schaute sich um und sah nichts.
Nur der Regen rauschte weiterhin monoton vom Himmel. Hatte er alles nur geträumt?
Tom faßte nach hinten, fühlte den zerstörten Rucksack und wußte, daß es kein Traum gewesen war.
Sein Freund Pierre lebte nicht mehr. Und er war nur knapp dem Tod entronnen. Vorsichtig schaute Tom Jeffers sich um. Er sah nichts, hörte nur das Rauschen des Regens und das Klatschen dicker Tropfen in große Pfützen.
Der Engländer schluckte und wischte sich Wasser und Schmutz aus dem Gesicht. Er war noch immer völlig fertig, stand unter einem Schock, aber der Wille zum Überleben brandete in ihm auf, und der sagte ihm, daß er von der Insel weg mußte, sollte nicht noch ein Unglück geschehen.
Er dachte auch nicht über irgendwelche Erklärungen für das Grauen nach, das hatte noch Zeit.
Wie zuvor mit seinem Freund Pierre Balmain, so hetzte Tom Jeffers nun allein durch den Wald. Ungestüm brach er durch das Unterholz. Die Fetzen des Rucksacks klatschten ihm bei jedem Schritt gegen den Rücken.
Weg, nur weg!
Erschöpft taumelte er aus dem Wald und lief über den schmalen Uferstreifen. Seine Füße hinterließen lange Spuren im grobkörnigen Sand.
Tom Jeffers sah das Boot nicht.
Im ersten Augenblick umkrampfte eine eiskalte, unsichtbare Hand sein Herz, doch dann siegte der Verstand.
Tom Jeffers sah, daß er dort, wo sie das Boot zurückgelassen hatten, gar nicht aus dem Wald gekommen war. Jetzt mußte er den Flitzer suchen. Aufs Geratewohl lief Tom nach links. Noch pfiff der Wind, wühlte die Wolken am Himmel auf und peitschte Regenschleier über das bleigraue Wasser.
Der Sturm kam von rechts,
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