0049 - Das Grauen an der Themse
gewesen.
»Oberinspektor Sinclair.« Der Leiter der Mordkommission kam mir entgegen. Er sah nicht viel besser aus als die jungen Leute, und das kam bei ihm selten vor. Er war abgebrüht. »Das müssen Sie sehen, Sinclair.«
»Deshalb bin ich hier, Molder«, sagte ich und trat auf die Tote zu.
Mit einem einzigen Blick erfaßte ich die Situation. Sie hatte keine sichtbaren Verletzungen von einem Unfall. Der Kühler des schwarzen Wagens war nicht eingebeult, kein Scheinwerfer zerbrochen.
In diesem Moment gab Molder ein Zeichen. Seine Leute schalteten Standscheinwerfer ein. Vom Kleinbus her kam ein Aufschrei. Die junge Frau hatte ihn ausgestoßen.
Ich verstand sie gut. Die Tote sah entsetzlich aus.
Sie lag auf dem Rücken, und doch konnte ich nur ihren Hinterkopf sehen. Jemand hatte ihr das Gesicht auf den Rücken gedreht.
Ich zog die Unterlippe zwischen die Zähne und biß kräftig darauf. Der Schmerz brannte. Nein, ich träumte nicht.
Es war die berüchtigte Methode, wie Geister ihre Opfer töteten.
Zu allen Zeiten hatte man solche Leichen gefunden. Auf der ganzen Welt. Und immer hatten sich die Leute schaudernd bekreuzigt, weil sie wußten, daß sie vor einem Opfer der Finsternis standen. Erst in der Gegenwart waren Leichen dieser Art seltener geworden.
Auch Dämonen stellten sich auf die veränderten Zeiten ein. Wenn heute irgendwo auf der Welt ein Toter mit dem Gesicht auf dem Rücken gefunden wurde, wußte es wenige Stunden später die gesamte Menschheit. Im Zeitalter der TV-Satelliten konnten sogar alle Menschen den schauerlichen Toten sehen.
Meistens legten die Mächte der Finsternis keinen Wert auf solche Propaganda durch die Massenmedien. Sie bevorzugten daher unauffälligere Mittel, um den Menschen zu schaden. Das hier war eine Ausnahme. Und ausgerechnet in London!
Ich wandte mich an Oberinspektor Molder. »Wer weiß davon?«
Er zuckte die Schultern und machte eine Geste, die alle Polizisten einschloß. »Und natürlich Superintendent Powell, meine Männer und die beiden dort.« Er zeigte auf die jungen Leute, die genau so blaß wie Leichen waren. »Sie haben die Tote gefunden.«
»In Ordnung.« Ich warf einen langen Blick auf die Tote. »Meinetwegen können Sie nach Hause fahren und die Unglückliche mitnehmen.«
Er blickte mich überrascht an. »Wollen Sie den Tatort nicht untersuchen, Sinclair?« Ich klopfte ihm auf die Schulter. »Wir arbeiten zwar beim selben Verein, Molder, aber ich habe andere Methoden.«
Wäre ich ganz ehrlich gewesen, hätte ich sagen müssen: Normale kriminalistische Untersuchungen helfen mir nicht weiter. Und in diesem Fall habe ich noch nicht die geringste Ahnung, was ich unternehmen kann.
Denn das war die Wahrheit. Vorläufig gab es für mich nicht den kleinsten Anhaltspunkt.
Aber ich war sicher, daß sich das bald ändern würde. Dämonen, die so grausam vorgingen, suchten sich bald ein neues Opfer. Und noch eines. Und wieder eines. Falls ich sie nicht unschädlich machte. Und genau das hatte ich vor.
***
Erst gegen ein Uhr nachts kam Angela Alessi an ihrem Ziel an. Von einer inneren Stimme geleitet, hatte sie das Taxi am Ortsbeginn von Enfield verlassen und war querfeldein zu Fuß weitergegangen.
Sie war noch nie in ihrem Leben hier gewesen, fand jedoch den Weg, als ginge sie ihn täglich mehrmals. Obwohl es eine finstere Nacht ohne Mond und Sterne war, strauchelte sie nicht ein einziges Mal. Wie eine Schlafwandlerin bewegte sie sich auf ein einsam stehendes Haus zu.
Von außen machte es einen verwilderten und verfallenen Eindruck, als lebten schon jahrelang keine Menschen mehr in dem Gebäude. Beim Näherkommen bemerkte man, daß vor allen Fenstern Läden befestigt waren, die kein Licht hereinließen. Keinen einzigen Gedanken verschwendete Angela Alessi auf ihren Mann, der bald nach Hause kommen und sie vermissen mußte. Sie näherte sich dem Haus mit größter Vorsicht und nützte jeden Busch als Deckung aus.
Das Grundstück wurde von einem Zaun gesichert, der jedoch an zahlreichen Stellen morsch geworden war. Angela packte zwei der hölzernen Stäbe und bog sie langsam auseinander. Mit einem knirschenden Geräusch brachen sie dicht über dem Boden. Sie waren von Moder und Fäulnis zerfressen.
Gewandt huschte die junge Frau durch die entstanden Lücke.
Sie versank im knietiefen Unkraut, zerriß sich den Hosenanzug, achtete nicht darauf.
Sie war noch keine zehn Schritte weit gekommen, als sich mit wütendem Kläffen drei Bluthunde auf sie stürzten.
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