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0049 - Das Grauen an der Themse

0049 - Das Grauen an der Themse

Titel: 0049 - Das Grauen an der Themse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Wunderer
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Grauenhaftes hatte er noch nie gesehen.
    ***
    Es kam selten vor, daß ich ein freies Wochenende hatte. Das heißt, es gab natürlich einen Dienstplan für mich. Schließlich war ich Oberinspektor bei Scotland Yard. Und da bei Behörden alles seine Ordnung haben mußte, existierte besagter Dienstplan.
    Trotzdem wurde mein Dienstplan oft für längere Zeit außer Kraft gesetzt. Jagd nach Dämonen und Kampf gegen das Böse in der Welt ließ sich eben nicht in das starre Arbeitsschema einer Behörde pressen.
    Superintendent Powell, mein Chef, hatte das eingesehen.
    Das bedeutete aber auch, daß mich Sir Powell zu den unmöglichsten Zeiten auf einen Einsatz schickte. Hätte er mich nicht so hundertprozentig unterstützt, hätte ich ihn sicherlich einen Menschenschinder genannt.
    »Sie müssen sofort los«, sagte er, als der Sonntag gerade eine Minute alt war. Er sagte es über Telefon, und der Sonntag sollte für mich ein Ruhetag werden. Für mich und Jane Collins, die Privatdetektivin.
    »Sie sind ein Menschenschinder, Sir«, antwortete ich höflich aber bestimmt. »Wissen Sie…«
    »Schon gut«, unterbrach er mich. »Ich weiß, wie spät es ist. Ich weiß, daß ich Ihnen den Sonntag verderbe und wahrscheinlich auch die nächsten Tage. Trotzdem, Sie müssen sofort los. Fahren Sie nach Enfield.«
    »Weiter ging es wohl nicht?« unterbrach ich ihn. »Warum nicht gleich Glasgow oder Edinburgh?«
    »In Enfield nehmen Sie die Great Cambridge Road«, fuhr Superintendent Powell unbeeindruckt fort.
    »Great«, warf ich ein. »Ich meine natürlich, Great Cambridge Road.«
    »Sie werden dann schon die richtige Stelle finden«, erklärte Powell. »Ich wünsche Ihnen viel Glück und mir bald einen ausführlichen Bericht.«
    »Das Glück nehme ich gern, den Bericht spare ich mir«, antwortete ich und legte auf. Auch ein Vorgesetzter bei Scotland Yard kann um fünf nach zwölf nicht allzu viel Respekt erwarten. Außerdem wollte ich ihn nicht verwöhnen.
    Ich holte den silbergrauen Bentley aus der Garage und machte mich auf den Weg. Sonntag, 5. Juni, registrierte ich automatisch in meinem Gehirn. Ich mochte keine Akten, deshalb führte ich über jeden Fall eine Akte in meinem Kopf. Ich hatte soeben eine neue Kladde begonnen. Bis jetzt stand da nur: Enfield, Great Cambridge Road. Und das Datum.
    Der Rest mußte noch folgen.
    Er folgte genau eine dreiviertel Stunde später. Ich sah schon von weitem die zuckenden Blaulichter der Straßensperre. Das also war die Stelle, von der Superintendent Powell gesprochen hatte.
    Zwei Polizisten stoppten meinen Wagen. Einer von ihnen kam an meine Tür.
    »Tut mir leid, aber hier können Sie nicht… Verzeihung, Sir!« Er salutierte. Mein Gesicht war offenbar bekannter als ich dachte. »Sie werden schon erwartet. Zwei Meilen weiter, Sie können es nicht verfehlen, Oberinspektor.«
    »Noch zwei Meilen?« fragte ich überrascht. »Und was machen Sie hier?«
    »Eine Straßensperre«, antwortete er. »Wir haben Sicherheitsstufe eins. Niemand darf sich dem Tatort nähern.«
    Ich pfiff durch die Zähne und gab wieder Gas. Mit einem kaum merklichen Ruck rollte der Bentley an.
    Eine Sicherheitszone von zwei Meilen. Nicht schlecht. Das kam selten vor. Meinen Vorgesetzten im Yard mußte es sehr darauf ankommen, daß niemand von der Sache Wind bekam. Ich wurde langsam neugierig.
    Der Polizist hatte ebenso recht wie Sir Powell. Ich sah es schon von weitem. Mindestens sieben Polizeifahrzeuge. Die Blaulichter auf den Dächern zuckten träge. In weitem Umkreis waren Polizisten aufgestellt. Sie alle wandten der Stelle auf freier Landstraße den Rücken zu und beobachteten die Umgebung. Nicht einmal eine Maus wäre bis zu der Gruppe von Personen vorgedrungen, die sich um zwei Autos scharte.
    Ich stellte den Bentley ab, zeigte am Sperrgürtel meinen Ausweis und ging näher heran.
    Auf den ersten Blick wirkte alles wie ein Verkehrsunfall. Ein ganz normaler Auffahrunfall. Am Heck eines schwarzen Wagens klebte eine alte Kiste, die den Weg zum Schrottplatz nicht mehr aus eigener Kraft schaffte. Die Kühlerhaube des Klapperkastens war um die Hälfte kürzer als vorher.
    Vor dem schwarzen Wagen lag eine Frau. Offenbar tot, wie ich an der unnatürlichen Stellung von Armen und Beinen erkannte. Ein Stück abseits stand der Kleinbus der Mordkommission. Zwei junge Leute saßen darin, Studenten oder Künstler, schätzte ich. Sie waren so verstört, daß sie mir leid getan hätten, wäre ich nicht mit der toten Frau beschäftigt

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