005 - Der Griff aus dem Nichts
Fuller-Latimer. »Wendet euch an ihn!«
Fuller sah, daß das Lebenskollektiv nahe daran war, sich seiner Kontrolle völlig zu entziehen. Er versuchte es mit besänftigenden Worten, aber das Klagen schwoll immer mehr an. In den Gehirnen hatte es zu arbeiten begonnen. Das Unterbewußtsein war angeregt worden; die Erinnerung an längst vergangene Zeiten wurde wach. Die einzelnen Individuen entsannen sich ihres menschlichen Daseins, Bedürfnisse wurden geweckt, die Fuller bisher hatte unterdrücken können.
»Wer gibt uns die Freiheit? Wer macht, daß wir gehen können? Wie erhalten wir die Gabe zurück, uns nach Belieben zu bewegen?«
»Fragt euren Schöpfer!« rief Dorian.
Fuller sah sich in die Enge getrieben. Er mußte zurückweichen, als die Masse mit seinen Organen, Körperteilen und vielen Gesichtern näher an ihn heranrückte. Unter seinen Füßen erschlafften Muskeln, so daß er den Halt verlor. Hände fingen ihn auf und hielten ihn fest.
»Loslassen! Gebt mich frei!« schrie Fuller verzweifelt. »Ihr seid schön und das genügt.«
»Wir?« fragte der Chor. »Bin ich wir? Sind wir wir? Wer sind wir? Wir – wir – wir …«
Die Fragen wurden immer verwirrender, immer dringlicher. Die einzelnen Individuen verlangten nach einer Antwort. Die Hände tasteten Fullers Körper ab, der sich verzweifelt zu wehren versuchte. Aber er konnte sich aus ihrem Griff nicht befreien. Sie hielten ihn eisern fest.
»Lewis, hol mich hier heraus!« schrie Fuller aus Leibeskräften. Seine Rufe hallten schaurig durch den Raum und wurden von den unzähligen Mündern wiederholt.
»Lewis! Lewis! Lewis!« rief der Chor.
Dorian spürte in seinem Rücken einen Luftzug und wirbelte herum. Durch eine Öffnung im Lebenskollektiv drang der Verwalter herein. Er grinste teuflisch, als er Dorian erblickte.
»Jetzt gehörst du mir«, sagte er und breitete die Arme aus.
Hände krallten sich in seinen Beinen fest, aber Goddard befreite sich mit einem einzigen Ruck aus ihrem Griff, eine Hand, die sich um seinen linken Knöchel gekrampft hatte, riß er einfach aus dem Lebenskollektiv heraus. Goddard lachte wild. Es sah ganz so aus, als hasse er das Lebenskollektiv. Es schien ihm unsägliches Vergnügen zu bereiten, es zu zerstören.
»Lewis! Hierher!« schrie Fuller verzweifelt.
Plötzlich ging sein Rufen in einen markerschütternden Schrei über, und das Geräusch brechender Knochen war zu hören. Dorian ahnte, daß das Lebenskollektiv seinen Schöpfer gerichtet hatte, aber er konnte keinen Triumph verspüren. Fullers Tod bedeutete noch nicht, daß er sich in Sicherheit befand. Das verrückt gewordene Kollektiv würde auch ihn nicht verschonen. Außerdem mußte er noch mit Lewis Goddard und den anderen Superwesen rechnen.
»Weißt du, daß ich Lorna geliebt habe?« sagte Goddard und breitete seine Arme aus, um Dorian zu zermalmen.
Dorian drückte ohne zu zögern ab. Die Kugel traf Goddard genau zwischen den Augen. Einige Sekunden stand er schwankend da, dann fiel er um. Die Arme des Lebenskollektivs fingen ihn auf und begannen, ihn zu untersuchen. Dorian stieg über die Muskelberge hinweg, darauf bedacht, nicht in die Reichweite der um sich schlagenden und greifenden Hände zu kommen. Die Öffnung, durch die Goddard gekommen war, begann sich langsam zu schließen. Dorian konnte sich gerade noch hindurchzwängen.
Endlich befand er sich im Freien. Vor ihm lag der Hauptkorridor. Da sah er durch das Glasportal, daß im Park Flammen hochschlugen, und Gestalten in wilder Panik durcheinanderliefen. Schüsse wurden abgefeuert; es hörte sich wie das Rattern von Maschinengewehren an, und plötzlich gab es in der Empfangshalle eine furchtbare Explosion. Die Glaswände barsten in tausend Trümmer. Zwei von Fullers Superwesen wurden durch die Luft geschleudert.
Dorian begriff überhaupt nichts mehr. Während er durch den Hauptkorridor zum Ausgang rannte, schlugen aus den Türen zu beiden Seiten Flammen heraus. Er hatte den Ausgang fast erreicht, als sich zu seiner Linken eine der Türen öffnete und eines von Fullers Superwesen schreiend herausstürzte. Es handelte sich um jene Mexikanerin, die Dorian in dem Raum mit den Särgen niedergeschlagen hatte. Ihre Kleider hatten Feuer gefangen; sie brannte lichterloh. Als sie Dorian erblickte, stürzte sie sich auf ihn. Ihm blieb keine andere Wahl, als sie mit zwei Schüssen niederzustrecken. So blieb es ihr zumindest erspart, bei lebendigem Leib zu verbrennen.
Die Empfangshalle war mit unzähligen
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