005 - Der Griff aus dem Nichts
im Charakterfach zu etablieren, und du wirst sehen, daß sie noch ganz groß herauskommt. Ich muß nur aufpassen, daß sie festen Boden unter den Füßen behält. Sie scheint irgendwelchen Kummer zu haben. Dadurch ist sie leicht reizbar und neigt zu hysterischen Anfällen.«
»Warum erzählst du mir das alles?« fragte Dorian angriffslustig.
»Ich möchte dich auf andere Gedanken bringen.« Jeff ergriff ihn am Arm. »Bist du mir ernsthaft böse, daß ich dich aus London, diesem tristen Kaff, weggelockt habe, Dorian?«
»Ich habe in diesem tristen Kaff eine verantwortungsvolle Aufgabe übernommen«, antwortete Dorian. »Ich kann es mir nicht leisten, meine Zeit als Partyhai zu vergeuden.«
»Und was hat Dr. Fuller damit zu tun?« fragte Jeff. Als er keine Antwort erhielt, fuhr er fort: »Gut, gut, ich will nicht neugierig sein. Ich konnte auch nicht wissen, daß du so schwer beschäftigt bist. In Beverly Hills bist du jedenfalls an der falschen Adresse, wenn du den Schönheitschirurgen suchst. Er ist vor etwa einem halben Jahr nach Europa verschwunden.«
»Ich weiß. Ich habe ihn dort getroffen«, sagte Dorian. »Hast du nichts weiter über ihn in Erfahrung bringen können, Jeff?«
»Doch, eine ganze Menge sogar. Aber das betrifft alles nur seine Vergangenheit. Ich glaube nicht, daß es dir weiterhelfen wird.«
»Versuchen wir es.«
Jeff stieß pfeifend die Luft aus. Als einer der livrierten Diener vorbeikam, griff er sich ein Glas Whisky vom Tablett.
»Als ich vor zwei Monaten mein Domizil in Beverly Hills aufschlug, war Fullers Ära schon längst vorbei, aber er war immer noch in aller Munde.« Er trank einen großen Schluck Whisky und fuhr fort: »Alles, was in Beverly Hills Rang und Namen hatte und an diesem oder jenem Makel litt, fuhr zu Fuller in den Carmelita Canyon hinaus. Er machte die besten Nasen- und Brustkorrekturen, wie man mir versicherte. Man konnte sich in sein Sanatorium zu einer Schönheits- und Verjüngungskur begeben, aber man konnte dort auch alles andere, angefangen von einer Warzenbeseitigung bis hin zu einer Abtreibung, mit der größtmöglichen Diskretion bekommen. Hört sich verrückt an, aber es ist gar nicht mal so übertrieben, wenn ich sage, daß das gesamte Volk von Hollywood über Beverly Hills bis Bel Air trauerte, als er seine Zelte im Carmelita Canyon abbrach. Trotz seiner Jugend genoß er unglaubliche Popularität. Ich glaube, er war erst 29 Jahre alt. Genau wie du.«
»Er ist sogar am selben Tag geboren worden«, sagte Dorian.
»Welch ein Zufall!«
»Nein, kein Zufall.« Dorian schüttelte den Kopf. »Aber erzähle weiter! So wenig, wie du behauptet hast, weißt du gar nicht.«
»Ich bin eigentlich schon am Ende angelangt«, sagte Jeff schulterzuckend. »Nach Fullers Abreise wurde das Sanatorium geschlossen. Es ist nicht ganz klar, ob er daran finanziell beteiligt war und die Schließung veranlaßt hat, oder ob die Leute nach seinem Verschwinden ganz einfach pleite gemacht haben. Sicher ist jedenfalls, daß man nach seiner Abreise in Beverly Hills die Flaggen auf Halbmast gesetzt hat. Fast alle sind sich einig, daß er ganz ausgezeichnete Arbeit leistete. Er war begnadet. Ein Künstler im Ärztekittel.«
»Gab es Leute, die mit seiner Arbeit nicht zufrieden waren?« fragte Dorian.
Jeff lachte. »Das waren seine Konkurrenten.«
Er stieß Dorian an und wies auf einen etwas bullig wirkenden Mann Mitte vierzig, mit graumelierten Schläfen und gepflegtem Äußeren, der sich gerade mit Dorothy Malone unterhielt. Jeff fuhr mit vertraulich gesenkter Stimme fort: »Da hast du einen von ihnen. Dr. Carlion Hopper, übrigens mein Hausarzt, ist einer von denen, die Fuller bestimmt keine Träne nachweinen. Möchtest du seine Meinung über ihn hören?«
»Warum nicht?«
Dr. Carlion Hopper verhielt sich Dorian gegenüber äußerst distanziert, vielleicht deswegen, weil ihn Dorothy Malone vor ihm gewarnt hatte. Als Jeff dann die Sprache auf Dr. Fuller brachte, wurde seine Miene eisig.
»Warum interessieren Sie sich für diesen Scharlatan, Mr. Hunter?« wollte Dr. Hopper wissen.
Dorian erklärte, daß er mit Nachforschungen betraut worden sei, die mit Dr. Fuller zu tun hätten. Dabei überließ er es der Phantasie des anderen, ob ihn dieser für einen Privatdetektiv, einen Untersuchungsbeamten der Ärzteschaft oder einen potentiellen Patienten hielt. »Warum bezeichnen sie Dr. Fuller als Scharlatan, Dr. Hopper? Zweifeln Sie etwa an seinen Fähigkeiten?«
»Aber keineswegs«,
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