005 - Gekauftes Glück
„Vielleicht sollte ich das Mittel versuchen." Im gleichen Augenblick blickte sie auf dem Weg zur Tür jedoch zufällig auf den schneeweißen Ärmel ihres besten Nachthemdes und entdeckte den schmutzigen Abdruck der Hand der jüngeren Frau. „Oh, sieh dir an, was du mit meinem neuen ... oh, du tapsiges Miststück!" Wütend kreischend, hob sie die Hand und schlug Ashleigh hart ins Gesicht.
Von dem unerwarteten Hieb drehte Ashleigh sich alles vor den Augen. Wie töricht von ihr, etwas Derartiges bei der Blondine nicht vorausgesehen zu haben. Monicas Benehmen war unberechenbar, besonders dann, wenn sie an Kopfschmerzen litt.
Abgesehen davon, hatte Madames beliebteste Hure, die Bienenkönigin des eleganten Bordells in St. James, sich stets sehr unfreundlich zu Ashleigh verhalten.
Neuerdings war sie sogar ausgesprochen feindselig gewesen, wiewohl Ashleigh keine Ahnung hatte, aus welchem Grund. Auch jetzt fragte sie sich, während ihr die Tränen in die Augen traten und sie sich auf die Unterlippe biß, um nicht zu weinen, was sie getan haben mochte, das ihr die Feindschaft der schönen Kurtisane eingetragen hatte.
Sie konnte natürlich nicht wissen, daß Monica, wie alle Menschen, die den eigenen Wert allein nach ihrem Aussehen beurteilen, sich zutiefst von den Frauen in ihrer Umgebung bedroht fühlte, die in dieser Hinsicht Konkurrentinnen sein konnten. Und Monica betrachtete Ashleigh als Bedrohung. Es hatte keine Rolle gespielt, daß Ashleigh vor dreieinhalb Jahren, als sie und Monica sich zum ersten Male begegnet waren, eine unterentwickelte, spindeldürre 15-jährige Küchenmagd gewesen war, die nur die niedersten Arbeiten verrichtete, um sich den Lebensunterhalt zu verdienen.
Doch schon damals war die zierliche, fast ätherische Schönheit des ovalen Gesichtes des jungen Mädchens offensichtlich gewesen. Es war ein perfekt geformtes, exquisit proportioniertes Gesicht, mit porzellanartigem weißen Teint, mit großen, klaren und weitstehenden, von dichten, langen, seidigen Wimpern umgebenen saphirblauen Augen, umrahmt von einer natürlichen Fülle glänzenden schwarzen Haares.
Und nun, da Ashleigh einen weichgerundeten, aufblühenden Körper hatte, der selbst unter dem von ihr getragenen unansehnlichen grauen Kleid erkennbar war, wurde sie in den Augen der Blondine von Tag zu Tag eine noch stärkere Bedrohung.
Mehr noch, Madames wachsamem Blick waren die Veränderungen in Ashleighs Aussehen nicht entgangen.
Erst neulich hatte Monica durch Zufall Madame sich zu Drake, der einerseits ihr Butler, andererseits ihr Zuhälter war, über Ashleighs wachsendes Potential äußern gehört. Und es war unbedeutend, daß Dorcas, als sie von Drake über Madames Interesse informiert wurde, das Recht ihres jungen Schützlings, unberührt zu bleiben, hitzig verteidigt und wütend den Mann mit schlagbereit erhobenem Nudelholz aus der Küche verscheucht hatte. Monica kannte Madame sehr gut.
Wenn Madame es sich in den Kopf gesetzt hatte, etwas zu erwerben, durch das sie ihren Profit steigern konnte, ließ sie sich durch nichts davon abhalten. Monica wußte, daß es nur eine Frage der Zeit war, ehe Ashleigh St. Clair, auf dem Rücken liegend, in der oberen Etage des Bordells arbeiten würde.
Ashleigh betrat einige Schritte vor Monica die Küche und war froh, Finn nicht zu sehen. Da Dorcas emsig damit beschäftigt war, etwas aus dem an der Seite des riesigen Kochherdes eingebauten Backofen zu ziehen, nahm Ashleigh an, daß die Köchin den Hund hinausgeschickt hatte. Dankbar, daß die alte Frau das Gesicht abgewandt hatte, setzte sie eine ausdruckslose Miene auf, denn es wäre nicht gut gewesen, Dorcas zu zeigen, wie sehr sie durch Monicas Züchtigung verstört war.
Dorcas, die Gute, würde nur wieder einmal noch oben in Madames Räume stürmen und sich empört über den Zwischenfall beklagen (und nur sie durfte das tun, denn dank eines fast besessenen Verlangens nach gut zubereitetem Essen und des maßlosen Stolzes auf die Fähigkeiten der zwanzig Jahre im Dienst stehenden Köchin verzieh Madame ihr alles, solange es die Güte der Köstlichkeiten nicht schmälerte).
Ashleigh wußte jedoch, daß Monica, sobald Dorcas mit Madame gesprochen und die Blondine von der Hausherrin zurechtgewiesen worden war, alles in ihrer Macht Stehende tun würde, um ihr selbst in den kommenden Tagen und Wochen das Leben so schwer wie möglich zu machen. Wie beispielsweise damals, da Monica
„zufällig" auf der Treppe mit ihr zusammengestoßen
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