005 - Gekauftes Glück
Jahre alt war, hatte sie längst die Hoffnung aufgegeben, noch zu wachsen.
Zärtlich kraulte sie Finn, den sie vor fast einem Jahr vor den grausamen Quälereien einer Straßenbande bewahrt hatte, den struppigen grauen Kopf. Noch einmal sah sie die Szene vor sich, auf die sie in der Gasse hinter Madames Stadthaus gestoßen war, als sie eine Schüssel voll Milch für die streunenden Katzen der Nachbarschaft hinstellen wollte. Halbunterdrücktes Glucksen und boshaftes Gelächter hatten ihre Aufmerksamkeit auf das Ende des Sträßchens gelenkt, wo vier schäbig gekleidete Halbwüchsige gebückt mit einer am Boden befindlichen Gestalt beschäftigt gewesen waren. Da nur das aus den Fenstern im ersten Stock fallende Licht eines Hauses die ansonsten dunkle Gasse etwas erhellt hatte, war Ashleigh vorsichtig weitergegangen, um zu sehen, was sich am anderen Ende tat. Das schadenfrohe Gelächter hatte ihr gar nicht gefallen.
Dann hatte sie einen fünften Burschen entdeckt, der ebenso verschlampt und schmierig gewesen war wie die vier anderen Bengel. Er hatte sich bemüht, ein Seil an einer Stütze für ein Regenrohr zu befestigen. Das war ihm in dem Moment gelungen, als Ashleigh ein gleiches Seil an der Wand des gegenüberliegenden Gebäudes entdeckt hatte. Daran hatte, stranguliert, eine der Katzen gehangen, für die eigentlich die Milch gedacht gewesen war. Die bei dem scheußlichen Anblick aufsteigende Übelkeit bekämpfend, hatte Ashleigh sich gezwungen, zögernd noch einige Schritte weiterzugehen. Dann hatte sie den Jungen mit dem Seil zu den anderen sagen gehört: „Knüpft ihn ordentlich auf, Kameraden! Er wird viel besser hin und her baumeln als eine räudige Katze."
Erst in diesem Moment hatte Ashleigh erkannt, was die dunkle, am Boden liegende Masse gewesen war. Die vier Übeltäter waren, offensichtlich mit ihrem Werk zufrieden, ein Stück zurückgetreten, und daher hatte sie einen knochigen, nassen und bemitleidenswerten Welpen mit zugebundener Schnauze gesehen, dem die Läufe gefesselt waren. Er hatte in einer Pfütze gelegen und sich, hilflos zuckend, gegen die Stricke gewehrt. Ashleigh hatte ihn leise wimmern gehört und gewußt, was sie tun müsse. Alle Vorsicht mißachtend, hatte sie das Messer aus der Schürzentasche geholt. Sie hatte es eingesteckt, ehe sie heimlich mit der Milch in die Gasse entwischt war. Es vor sich haltend, wie Megan es sie gelehrt hatte, war sie mit gefährlichem Funkeln in den blauen Augen auf den jüngsten Burschen zugegangen.
„Der erste, der Hand an diesen Welpen legt, ist tot!" hatte sie gedroht.
Fünf Augenpaare hatten sie überrascht angeschaut, während sie wie ein Racheengel auf sie zugeschritten war. Angesichts des Messers in ihrer Hand waren drei der Jungen langsam von dem Hund zurückgewichen, den sie so grausam gepeinigt hatten. Der vierte Kerl jedoch hatte sich offensichtlich entschlossen gehabt, ihr die Stirn zu bieten, und vom fünften war sie verächtlich angegrinst worden.
„Donnerwetter, wen haben wir denn hier? Da bildet eine naseweise Küchenmagd sich doch tatsächlich ein, ein Mitglied der königlichen Wache zu sein!"
Plötzlich hatte der Bursche mit dem Strick seinem Kameraden, einem gemein aussehenden, etwa zwölfjährigen rothaarigen Jungen, einen Stoß gegen die Schulter versetzt. „Kümmere dich um sie, Jake!"
Ein grimmiges Lächeln war über Jakes Gesicht gehuscht, und er hatte einen kühnen Schritt auf Ashleigh zu gemacht. Im Bruchteil einer Sekunde hatte sie die Situation abgeschätzt und war sich mehrerer Dinge zugleich bewußt geworden. Die drei Bengel, die nicht so mutig wirkten, hatten sich ungefähr ein gutes Dutzend Schritte entfernt, offenbar in der Absicht, abzuwarten, was geschehen würde. Der Junge mit dem Seil hatte sich über den Hund gebeugt und ihm eine Schlinge um den Hals gelegt. Jake war zuversichtlich auf sie zugekommen. Eingedenk Megans Ermahnungen, stets anzugreifen zu versuchen, selbst wenn man in der Defensive war, und aus der Erkenntnis, daß es keinen Moment zu verlieren galt, hatte Ashleigh sich beim Anblick des armen, in der Pfütze liegenden Hundes in Wut gesteigert, allen Mut zusammengenommen und unvermittelt eine Stärke empfunden, die ihr die Überzeugung gab, unbezwingbar zu sein.
Wütend hatte sie mit gezücktem Messer den Rothaarigen angesprungen und ihn an der Hand getroffen, die er vermutlich in der Absicht ausgestreckt hatte, sie zu entwaffnen. Sie hatte noch seine Verblüffung gesehen, ehe er, die blutende
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