005 - Gekauftes Glück
würde es - wie hatte sie sich ausgedrückt? Ach ja, richtig! - „zu noch mehr Gaunereien kommen". Und was hatte Dorcas, eine einfache, in einem der elegantesten und bekanntesten Bordelle arbeitende Köchin, mit dieser Bemerkung anfangen sollen?
Nach Mauds Tod, als das Kind von Madame aufgenommen und als Küchenmagd beschäftigt worden war, hatte Dorcas sich jedoch bei der Erforschung dieser Angelegenheit der Hilfe ihres Seemannsfreundes Roger versichert. Er hatte den Anwalt der St. Clairs ausfindig gemacht und erfahren, daß die Familie am Rande des Ruins gestanden hatte. Ashleighs Eltern waren zwar sehr zärtlich und liebevoll gewesen, hatten indes nicht mit Geld umzugehen vermocht. Es waren Schulden vorhanden gewesen, die daher stammten, daß die St. Clairs über ihre Verhältnisse gelebt hatten. Einst hatten Ashleigh und ihr Bruder nur das Beste gehabt, ob nun hinsichtlich ihrer Garderobe, der Dienerschaft, Erzieher, Pferde oder dergleichen.
Der ältere Bruder hatte, wie Dorcas Jahre früher von Maud mitgeteilt worden war, eine seemännische Ausbildung erhalten. Dann war er nach Westindien geschickt worden (auf einem Schiff, mit dessen Erwerb die St. Clairs sich wieder einmal übernommen hatten), um der Familie im Handel ein Vermögen einzubringen. Von dort war er nie zurückgekehrt. Er war auf See verschollen, als sein Schiff unterging, und man hatte nie mehr etwas von ihm gehört. Nach dem Brand waren die Ländereien der St. Clairs verkauft worden, um die Gläubiger zu befriedigen, und niemand, der Anwalt eingeschlossen, hatte Interesse am Schicksal der verwaisten Tochter gezeigt. Roger hatte sich erboten, weitere Nachforschungen anzustellen, doch dann war die arme Maud verblichen, und neue Anforderungen hatten Dorcas' Aufmerksamkeit verlangt.
Nur die kleine Ashleigh, dieser entzückende Kobold, war übriggeblieben und hatte sich in der Küche eines berüchtigten, übelbeleumdeten Hauses abrackern müssen, obwohl sie doch zu einem Leben in Muße geboren und ganz eindeutig, angefangen von den vollen schwarzen Locken bis hin zu den Spitzen ihrer niedlichen rosigen Zehen, eine Lady war. Und kein Laut der Klage war ihr über die Lippen gekommen. Dorcas schwelgte einen Moment lang voller Stolz in dem Bewußtsein, welchen Anteil sie an dieser Entwicklung gehabt hatte. Sie hatte das arme Würmchen auf den ersten Blick ins Herz geschlossen gehabt und Ashleigh in einer Aufwallung mütterlicher Zuneigung unter die Fittiche genommen.
Besorgt runzelte sie die Stirn, während sie aufmerksam das entzückende Profil ihres Schützlings betrachtete. Ashleigh stand vor dem Regal und maß ein Dram Kopfschmerzpulver in eine Tasse ab. Es war der überwältigende Anblick von Ashleighs wachsender Schönheit, der dieses Stirnrunzeln hervorrief, denn er erinnerte Dorcas an den Zwischenfall mit Drake vom letzten Sonntag und an das, was der Rüpel über Madames Interesse an dem Mädchen geäußert hatte. Irgend etwas mußte getan werden, und zwar bald, oder Ashleigh würde sich als hilflose, unwillige Bereicherung der Geschäfte wiederfinden, die im ersten Stock vorgenommen wurden.
In diesem Augenblick drangen Geräusche durch die zum Korridor führende Tür, und mit rauschenden Röcken erschien eine auffallend schöne, hochgewachsene rothaarige Frau. „Es ist noch ein bißchen früh, um sich zum Tee zu versammeln, nicht wahr?" fragte sie mit unüberhörbarem irischen Akzent.
„Megan!" zwitscherte Ashleigh überrascht. „Was machst du denn hier zu dieser frühen Stunde?"
„Du solltest mich lieber fragen, ob ich überhaupt schon im Bett gewesen bin", antwortete die Rothaarige und bedachte das Mädchen mit einem leicht boshaften Lächeln, dem das belustigte Funkeln in ihren großen grünen Augen widersprach.
„Oh!" erwiderte Ashleigh errötend. Sosehr sie es auch versuchte und trotz der Jahre, die sie in diesem Haus lebte und arbeitete, hatte sie noch nicht die blasierte Einstellung bezüglich der Vergnügungen gewonnen, die hier angeboten wurden.
Zum Teil beruhte das auf ihrer natürlichen Zurückhaltung, zum Teil auf der dicken Schutzwand, die Dorcas und deren gutausgebildete, loyale Küchenhelfer um sie errichtet hatten. Obgleich sie nach einem Dutzend Jahre der Anwesenheit den Zweck des Etablissements sehr wohl begriffen hatte, stammten ihre Erkenntnisse zumeist aus zweiter Hand, gewonnen aus sorgfältig formulierten Bemerkungen, die Dorcas oder Tillie, die Kaltmamsell, gemacht hatten. Ashleigh hatte sich damit
Weitere Kostenlose Bücher