0050 - Der Stein des Satans
ein Bild, das Leonardo de Montagne zeigte und im Hintergrund eine Landschaft, in der eine Schlacht zwischen Kreuzrittern und Arabern tobte. Diese Landschaft, Bill!«
Er sah sich um. Seine Lippen pressten sich zusammen.
»Ich erinnere mich«, sagte er langsam. »Als ich vor dem Bild stand, überfiel mich plötzlich etwas wie – wie eine Lähmung. Vielleicht lag es an der Luft in dem Verlies. Vielleicht hatten sich irgendwelche Gase gebildet oder…«
»Erinnern Sie sich nicht an die Stimme?«
»Eine Halluzination, verdammt! Gemälde sprechen nicht! Ich wette…«
»Verflucht ist der Stein«, zitierte Nicole. »Jahrhundertelang schmachtete meine Seele in Finsternis und Verbannung. Verdammt bin ich, in unseliger Ruhelosigkeit zu verharren, bis der Stein zurückkehrt ins Land des Propheten. – Jetzt seid ihr hier – Ihr werdet meine Boten sein und meinen unseligen Geist erlösen…« Sie machte eine Pause, schien einen Moment lang dem Klang der dunklen Stimme nachzulauschen. »Leonardos Worte, Bill! Er hat gesprochen. Und dann hat er seine Hand ausgestreckt und uns über die Zeitschranke hinweg in seine Welt gezogen.«
»Aber das ist doch…«
»Sehen Sie sich um, Bill! Und überlegen Sie sich, wo wir hier wohl Ihrer Meinung nach sind.«
Für einen Moment blieb es still.
Bill Fleming sah sich tatsächlich um. Er hatte scharfe Augen, ein gutes Gedächtnis – und bei aller Skepsis kam er nicht an der Tatsache vorbei, dass sie hier real und körperlich an einem Felsen der Landschaft lehnten, die das Gemälde im Keller von Château Montagne gezeigt hatte.
»Gut«, sagte er heiser. »Wir sind also hier. Irgendwo in Ägypten zur Zeit der Kreuzzüge. Es kann nur ein Traum sein, aber es ist offenbar ein Traum, dessen Verlauf wir selbst steuern können. Damit es kein Horrortraum wird, müssen wir uns zunächst einmal über unsere Situation klar werden.«
»Und über die Möglichkeiten, aufzuwachen«, fügte Nicole sarkastisch hinzu. »Ich hoffe, Leonardo ist so nett, uns zur Rückkehr zu verhelfen. Er will etwas von uns, Bill. Er will, dass wir diesen sagenhaften ›Stern des Morgenlandes‹ zu seinem Besitzer zurückbringen, damit seine Seele erlöst wird.«
Fleming verzog das Gesicht. Sein klarer Verstand sträubte sich gegen Nicoles Überlegungen – aber sein klarer Verstand sagte ihm auch, dass sie nicht umhin kamen, sich mit diesem »Traum« auseinanderzusetzen.
»Der ›Stern des Morgenlandes‹ befindet sich im Keller von Château Montagne«, sagte er.
»Nein, Bill! Er befindet sich hier! Wir sind in einer anderen Zeit, in der Zeit, als der Stein geraubt wurde. Entweder er ist noch in der Schatzkammer des Kalifen Achman, oder er befindet sich schon im Besitz von Leonardo. Und die beiden leben, Bill! Jetzt und hier!«
»In Ewigkeit, Amen!«, knurrte Fleming wütend. »Ich zweifle ohnehin an meinem Verstand, seit ich die Augen aufgemacht habe. Sie meinen also, wir müssen uns aufmachen, um einem höchst lebendigen Kreuzritter einen Brillanten abzunehmen und ihn zu einem ebenfalls höchst lebendigen Kalifen zurückzutragen?«
»Falls wir nicht verhindern können, dass der Stein überhaupt erst geraubt wird«, fügte Nicole hinzu. »Damit wäre der Fluch des Kalifen nämlich null und nichtig. Leonardo de Montagne könnte in seiner Zeit eines natürlichen Todes sterben, die Gestalt auf dem Bild würde ihre dämonische Macht verlieren, und wir…« Sie zögerte.
»… wir würden vielleicht aufwachen. Irgendwo auf Château Montagne. Als wäre nichts gewesen …«
»Das werden wir hoffentlich so oder so«, brummte Bill. »Vielleicht schellt der Wecker, ehe uns dieser verrückte Traum in die Verlegenheit bringt, uns mit einem Haufen von Kreuzrittern herumzuschlagen.«
Nicole warf ihm einen Blick zu. Sie wusste, dass sein Sarkasmus einer tiefen Unsicherheit entsprang, und sie spürte, wie verbissen er nach etwas suchte, das dieses Abenteuer wenigstens einigermaßen begreifbar machte.
»Bill…«, begann sie.
Er hörte nicht zu.
Mit einem Ruck hatte er den Kopf hochgerissen. Eine steile Falte stand auf seiner Stirn, und jetzt nahm auch Nicole das dumpfe Dröhnen wahr, das plötzlich in der Luft hing.
Hufschlag! Der rasche Trab von vierzig, fünfzig Pferden…
Sie kamen schnell näher – und im nächsten Moment tauchten die Gestalten der Reiter wie eine Vision über dem nächsten Hügel auf.
Kreuzfahrer…
Ritter in schimmernden Rüstungen, mit bemalten Schilden bewehrt, die weißen, wehenden Mäntel
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