0052 - Der Teufelsring
Istanbul.
***
Irgend etwas musste vorgefallen sein in dieser Stadt der 726 Moscheen oder in der näheren Umgebung. Professor Zamorra erinnerte sich gut an den alten Ciri. Er war ein stiller, freundlicher Mann gewesen, der keiner Fliege hatte etwas zuleide tun können. Und trotzdem war er das Opfer einer Gewalttat geworden.
Professor Zamorra zweifelte keinen Augenblick daran. Die Warnung der Geiststimme klang ihm noch in den Ohren.
»… die ganze Menschheit ist in Gefahr …«
Professor Zamorra wollte es nicht glauben. Seine Sinne sträubten sich dagegen, und doch hatte etwas in dieser Stimme gelegen, die eine Seite in seinem Inneren hatte anklingen lassen. Zamorra hatte einen natürlichen Instinkt für Außergewöhnliches. Dieser Instinkt meldete sich jetzt. Er musste wieder einmal auf Reisen gehen. Der Besitz des Silbernen Amuletts verpflichtete ihn dazu.
Unter der kalten Dusche kühlte er sich ab. Seine anfängliche Erregung wich ausgeglichener Gelassenheit. Er begann ganz klar die nächsten Schritte zu überlegen.
Turhan Ciri würde er in Istanbul nicht mehr finden, doch er musste dort seine Spuren hinterlassen haben. Der Gelehrte besaß auch noch ein Haus, drüben auf der asiatischen Seite der Stadt. Vielleicht fanden sich dort Anhaltspunkte über seinen Verbleib und sein Schicksal. Bei der Polizei nachzufragen dürfte wenig Zweck haben, denn Turhan Ciri war erst in dieser Nacht verschwunden – in diesem Punkt war Professor Zamorra sich sicher – und Zamorra glaubte nicht, dass irgend jemand bereits eine Vermisstenanzeige aufgegeben hatte. Soweit Zamorra sich erinnerte, hatte der türkische Magier und Forscher alleine gelebt, und die Universität, an der er lehrte, war eine der größten außerhalb der europäischen Länder, wenn man Istanbul schon zu den asiatischen Städten rechnen wollte.
Der Herr vom Schloss de Montagne schrubbte sich ab. Zwei Stunden würde er brauchen, bis er abreisebereit in seinem Citroën saß.
Sollte er Nicole Duval mitnehmen? Ihm war nicht ganz wohl bei diesem Gedanken, andererseits war Istanbul eine der schönsten Städte dieser Welt. Keine andere Stadt war ihr vergleichbar.
Dazu würde Nicole bestimmt schnell herausgefunden haben, wohin er sich abgesetzt hatte und ihm nachreisen.
Also war es besser, das kapriziöse Mädchen gleich mitzunehmen.
So konnte er wenigstens auf sie aufpassen. Außerdem wusste er nicht, wie weit die Macht dieses Ahrimans, von dem die Geiststimme gesprochen hatte, bereits reichte. War Nicole auf diesem Schloss überhaupt noch sicher? Es wäre nicht das erste Mal gewesen, dass Dämonen die spezifische Art ihrer beider Beziehungen dazu benützten, Zamorra noch mehr in die Enge zu treiben, ihn aus Angst um das Mädchen zu Handlungen zu zwingen, zu denen er sonst nicht bereit gewesen wäre.
Fertig angekleidet klopfte er an ihrem Zimmer im selben Flur.
»Nicole…«
Das große Bett knarrte ein wenig.
»Nicole!«
»Chef?« klang es erschrocken.
»Ja. Was hältst du von Istanbul?«
»Ich verstehe nicht«, kam schlaftrunken die Antwort. Zamorra hörte, wie das Mädchen aus dem Bett stieg und sich der Tür näherte.
Es war nicht abgesperrt.
Die zur Zeit rotblonden Haare zu einem Wuschelkopf zerwühlt, schaute sie mit großen Augen heraus.
»Komm doch rein. Wie war das mit Istanbul? Soll das etwa heißen, dass…?« Das Mädchen starrte Zamorra einen Augenblick lang an.
»Nein!«, rief es dann entzückt. »Wir fahren wirklich? Und das fällt dir mitten in der Nacht ein?«
Schon hing sie an Zamorras Hals und bedeckte sein Gesicht mit Küssen. Professor Zamorra hatte Mühe, das quirlige Wesen abzuwehren. Dass er Nicole vor wenigen Sekunden erst aus dem Schlaf gerissen hatte, merkte man ihr nicht mehr an. Ihre Augen glühten voll plötzlicher Begeisterung.
»Wir werden in den Bazar gehen«, schwärmte sie. »Schmuck ist ungeheuer billig in der Türkei. Und diese herrlichen Restaurants! Das Meer!«
Da stockte sie plötzlich. »Aber warum sagst du mir das wirklich in der Nacht? Du hast doch gestern Abend noch nichts davon gewusst. Ist…« sie schluckte, »… ist irgend etwas geschehen? Du weißt schon, was ich meine.«
Professor Zamorra nickte besorgt.
»Allerdings ist etwas geschehen.«
Dann erklärte er in groben Zügen das Erlebnis dieser Nacht. Nicole wurde schweigsamer. Auch sie hatten Turhan Ciri gekannt, wenn auch nur von Briefen her, die der Chef ihr diktiert hatte.
»Und jetzt willst du herausfinden, warum Turhan Ciri mutmaß-
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