0052 - Der Teufelsring
lich gestorben ist?« fragte sie am Schluss des Gesprächs.
Professor Zamorra nickte.
»Ich bin es ihm schuldig. Er war ein sehr, sehr feiner Mann. Und er hat sich an mich um Hilfe gewandt. Bis wann bist du reisefertig?«
»Ich habe immer einen Koffer für Notfälle gepackt. Ist es denn wirklich so dringend?«
»Das weiß ich nicht«, antwortete Zamorra wahrheitsgemäß. »Aber ich möchte das nicht herausbekommen, wenn es zu spät dafür ist. Ich möchte keine Zeit mehr verlieren. Hast du eine Ahnung, wie wir am schnellsten nach Istanbul kommen?«
»Mit der Maschine, die um 8 Uhr 15 in Orly startet«, sagte Nicole ohne zu überlegen. Da sie viel auf Reisen waren, hatte sie die Flugpläne der nächstliegenden Airports fast vollständig im Kopf. »Eine Tri-Star der Olympic Airways startet um diese Zeit nach Athen. Von dort ab müsste es ein leichtes sein nach Istanbul weiterzukommen.«
»Bis wann können wir dort sein?«
»Schätzungsweise heute Mittag, beziehungsweise am Nachmittag. Wir fliegen gegen die Zeit.«
»Bon. Nehme nur das Notwendigste mit. Soviel Zeit wird bleiben, dass du dich im Bazar neu einkleiden kannst. Ich bin schon gespannt, wie dir ein Schleier steht.«
»Du nimmst mir den Schleier ja doch wieder«, sagte sie kokett, und schob ihren Chef und Geliebten sanft von sich. »Ich mache mich jetzt fertig. Könntest du schon den Wagen vorfahren?«
Zamorra küsste das Mädchen noch kurz auf die Stirn. Nicole hatte, wie meist in diesen Dingen, recht behalten: eine Maschine der Olympic Airways startete Punkt 8 Uhr 15. Sie erreichten den Jet noch bequem und frühstückten an Bord.
***
Der Flughafen Yesilköy, fünfzehn Kilometer südlich des Bosporus, lag in der warmen Nachmittagssonne. Sie waren um 14 Uhr 50 Ortszeit gelandet. Ein rasanter Taxifahrer – und in Istanbul fahren alle Taxis rasant – konnte die Strecke bis zur Stadtmitte in einer knappen viertel Stunde schaffen. Es war also noch nicht zu spät, um an diesem Tag noch etwas zu unternehmen. Professor Zamorra und seine Gefährtin kämpften sich durch ein Heer wild gestikulierender Taxifahrer, die sich alle als die besten und sichersten der Stadt anpriesen.
Zamorra wählte einen aus, bei dem zumindest noch das Auto einen einigermaßen fahrtauglichen Eindruck machte.
»Sultan Achmed Universität«, gab Zamorra als sein Fahrziel an, als die Koffer verstaut waren. Auf der breiten Ausfallstraße kamen sie schnell ins Stadtzentrum. Der Fahrer, ein Osmane mit einem abenteuerlichen Schnurrbart, verlangte einen wahnwitzig überhöhten Fahrpreis, bekam schließlich die Hälfte der verlangten Summe, und grinste zufrieden. Nicht ohne für die Zeit des Aufenthalts seine Dienste anzubieten und seine Visitenkarte abzugeben, verabschiedete er sich.
»Denkst du, dass er wirklich unsere Koffer im Hilton abliefert?« fragte Nicole ein wenig ängstlich.
Professor Zamorra grinste. »Die Taxifahrer hier sind ehrliche Halunken«, sagte er. »Du kannst dich auf sie verlassen. Außerdem habe ich mir seine Autonummer so auffällig angesehen, dass er bestimmt nicht auf dumme Gedanken kommen wird.«
Sie betraten das Universitätsgelände durch ein schmiedeeisernes Tor mit verwirrender Ornamentik, in der mit arabischen Schriftzügen das Loblied auf Allah gesungen wurde, wie man überhaupt an allen Ecken und Enden der Stadt über sinnreiche Sprüche stolpert, die in einer früheren, religiöseren Zeit geprägt worden waren. Inzwischen schwang auch hier Gott Mammon ungestört das Zepter.
Zamorra verscheuchte ein paar Zigeunerjungen, die ihre schmutzigen, braunen Händchen aufgehalten hatten, um Eintrittsgeld zu kassieren, wo es nichts zu kassieren gab. Jeder schlug sich hier auf seine Weise durchs Leben, was in Istanbul in der Hauptsache mit dem Schröpfen von Touristen gleichkommt. Professor Zamorra kannte diese orientalische Variante der Geschäftstüchtigkeit von früheren Reisen her und war deshalb einigermaßen gewappnet.
Um diese Stunde hielten sich nur mehr wenige Studenten auf dem Gelände auf. Der Tag lud zum Baden in den frischen Fluten des Marmara-Meeres. Unbehindert kamen die beiden westlichen Besucher in jenen Trakt des Universitätsgebäudes, in dem die Verwaltung untergebracht war. Hier würde Zamorra zuerst erfahren, ob Turhan Ciri an diesem Tag seine Lehrtätigkeit aufgenommen hatte oder nicht oder ob vielleicht die Polizei schon in irgendwelche Ermittlungen eingeschaltet war. Schließlich war es nicht auszuschließen, dass die Leiche Turhan
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