006 - Der Teufelsbeschwörer
im Morgengrauen durch das Dorf. Er trug ein weißes Büßerhemd.
Das Haar hing ihm wirr vom Kopf. Alle Dorfbewohner begleiteten ihn auf seinem letzten Weg. Sie beschimpften und bespuckten ihn.
Es ließ ihn kalt. Er grinste sie frech an und bedauerte, daß er seine grausamen Taten in diesem Dorf nicht fortsetzen konnte.
In der Dorfplatzmitte befand sich der Scheiterhaufen. Ein dicker Holzpfahl ragte daraus hoch. An diesen wurde Julian West gebunden. Er hatte keine Angst vor dem Sterben, denn er wußte, daß das nicht das Ende war. Er würde nach dem Tod weiterleben, in der Hölle. Darauf freute er sich schon. Der Teufel würde ihm große Aufgaben übertragen, und er würde sich des Vertrauens, das ihm der Höllenfürst schenkte, würdig erweisen.
Der Priester, eben erst aus London zurückgekehrt, fragte ihn, ob er beten wolle.
»Nein, aber darf ich einen letzten Wunsch äußern, Pfaffe?«
Der Geistliche sah ihn ernst an. »Was möchtest du?«
»Daß du neben mir stehst, wenn sie den Scheiterhaufen in Brand stecken. Komm mit mir in die Hölle. Vielleicht schaffst du es, Asmodis zu bekehren.«
Der Pfarrer trat zurück und betete für die Seele des Verkommenen. Fackeln wurden angezündet. Vier Schergen trugen sie. Die Anklageschrift wurde vom Inquisitor noch einmal verlesen, der Mann wies darauf hin, daß der Delinquent sich in allen Punkten schuldig bekannt hatte und gab den Schergen dann das Zeichen.
Sie schoben ihre Fackeln in den Scheiterhaufen, der sofort zu knistern begann. Wieder war Julian West von Flammen eingehüllt.
Diesmal würde es für ihn kein Entrinnen mehr geben. Es machte ihm nichts aus. Trotz der heftigen Schmerzen lachte er in den Flammen.
»Ihr Narren!« schrie er. »Damit könnt ihr die Macht des Bösen nicht brechen! Ihr tötet mich, einen Menschen! Aber das Böse bleibt! Es wird euch alle überleben! Alle!«
Schaurig hallte seine Stimme auf dem Dorfplatz. Er lachte schrill aus dem Feuer heraus, das sich an seinen Beinen hochfraß. Er rief den Teufel an und teilte ihm mit, daß er komme.
Die Menschen bekreuzigten sich.
Der Hexer starb – und hinterließ ein gefährliches Vermächtnis…
***
Die Habseligkeiten des Hexers wurden versteigert. Der Erlös kam den Angehörigen jener Menschen zugute, die durch Julian West ihr Leben verloren hatten.
Was West hinterließ, kaufte der reichste Mann im Dorf, Mortimer Temple, zusammen. Das Haus des Hexers wollte keiner haben. Es wurde niedergerissen, denn man befürchtete, daß zwischen den Mauern immer noch das Böse wohnte. Aus den Ziegelsteinen baute man eine Mauer um den Friedhof, die jedes Jahr, an Julian Wests Sterbetag, geweiht wurde.
Auf ihrem Weg durch die Jahrhunderte blieb von den Habseligkeiten des Hexers nicht viel übrig. Dies und jenes verschwand, wurde weggeworfen, verbrannt. Zuletzt gab es nur noch eine schwere Eichentruhe, die von Temple zu Temple weitervererbt wurde.
Niemand warf einen Blick in das lästige Stück.
Man stellte es auf den Speicher und vergaß es.
Auf diese Weise gelangte die alte Truhe an Logan Temple. Und er sollte sich für das Vermächtnis des Hexers interessieren…
***
Logan Temple war achtundzwanzig Jahre alt, ein Durchschnittsmensch ohne Ambitionen. Er lebte gern in den Tag hinein und haßte es, zu arbeiten. Vor seiner Ehe war er sehr unbeständig gewesen.
Er hatte die Mädchen und die Arbeitsplätze wie die Hemden gewechselt. Verantwortungsbewußtsein war nicht gerade seine starke Seite, und Fiona, seine Frau, mußte ihm zu Beginn der Ehe immer wieder ins Gewissen reden. Er versprach jedesmal, sich zu bessern, änderte sich aber kaum. Er war ein hoffnungsloser Fall. Obwohl verheiratet, schlief er mit anderen Frauen. Wenn Fiona daraufkam, leugnete er, und wenn leugnen nichts nützte, verprügelte er seine Frau. Zweimal hatte sie ihn schon verlassen, war aber immer wieder zu ihm zurückgekehrt, weil sie ihm verfallen war, weil sie ihn abgöttisch liebte und weil sie ohne ihn nicht leben konnte.
»Sie ist selbst schuld an ihrem Unglück«, sagten die Freunde.
Aber es gab auch Tage, Wochen und Monate, an denen sie mit Logan Temple glücklich war.
Sie hoffte immer noch, daß er sich eines Tages abschleifen und so werden würde, wie sie ihn haben wollte.
Sie wohnten in einem kleinen alten Haus in Paddington. Zahlreiche Reparaturen wären dringend nötig gewesen, aber das Geld reichte nicht dafür, denn Logan Temple hatte vor zwei Monaten seinen Job verloren und bislang noch keine andere Arbeit
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