0064 - Die Mühle der Toten
Wenn Paulette allerdings nicht gewesen wäre…«
Zamorra wandte sich an das rothaarige Mädchen.
»Wie fühlen Sie sich, Mademoiselle Martier?«
»Den Umständen entsprechend, sagt der Mediziner wohl«, antwortete Paulette mit dem Versuch, zu scherzen. »Als dieser Verrückte drauf und dran war, Nicole umzubringen, konnte ich nicht länger passiv sein. Es war, als sei eine Sperre gebrochen, die mein Bewußtsein blockierte.«
Das war eine recht gute Beschreibung des Überwindens der Schockwirkung. Zamorra schickte jetzt alle Unbeteiligten außer dem Bürgermeister Brissac aus dem Zimmer und schloß die Tür, so gut es ging.
»Ich glaube, einen Weg gefunden zu haben, den Höllenspuk zu beenden«, sagte er. »Es sind noch ein paar Versuche zu machen. Aber wenn es klappt, ist morgen Nacht alles vorbei.«
Brissac fragte: »Und heute?«
»Heute Nacht muß Bresteville den Spuk noch einmal durchstehen«, antwortete Zamorra. »Daran führt kein Weg vorbei. Sorgen Sie dafür, daß wir nicht gestört werden, Bürgermeister Brissac. Beruhigen Sie die Bürger, wenn diese sich wegen des Untoten, den wir auf dem Friedhof ausgegraben haben, Sorgen machen. Ich werde später noch einmal nach ihm sehen. Niemand soll sich auf den Friedhof oder in seine Nähe begeben, und erst recht nicht zur Mühle. Wenn der Spuk heute Nacht zu schlimm wird, werde ich eingreifen.«
Brissac mußte sich damit zufriedengeben.
»Wollen Sie eine Anzeige gegen Maurice Mouriat erstatten?« fragte er Nicole noch, ehe er ging.
Das hübsche Mädchen schüttelte den Kopf.
»Mouriat war unzurechnungsfähig, als er mich umbringen wollte. Er ist mit seinem Wahnsinn genug gestraft.«
***
Langsam verstrichen die Stunden bis zum Abend. In Bresteville herrschte eine gedrückte Stimmung. Als es dämmerte, zogen sich die Einwohner in ihre Häuser zurück. Sie verrammelten Türen und Fenster und beteten, fluchten oder tranken, je nach Temperament und Anschauung.
Die Straßen von Bresteville lagen wie ausgestorben, als Zamorra und Bill Fleming zum Friedhof gingen. Eine latente Spannung hatte sich aufgestaut. Es lag etwas in der Luft. Selbst die Straßenbeleuchtung schien düsterer zu sein als sonst.
Der Himmel war klar, und man sah den Mond und die ersten Sterne. Am andern Ufer der Charente ragte die schattenhafte Silhouette der Geistermühle auf. Ein kaum wahrnehmbarer, geisterhaft irisierender Schimmer umgab sie.
»Das wird eine schlimme Nacht«, sagte Zamorra. »Beau Gunod spürt, daß wir ihm ans Leder wollen. Er weiß es. Deshalb wird er heute Nacht alles aufbieten, um uns zu vernichten. Wir müssen höllisch aufpassen, Bill.«
Die beiden Männer hatten in Anwesenheit von Nicole Duval ausführlich über alles gesprochen.
»Kannst du das magische Feuer nicht früher anwenden?« fragte Bill Fleming. »Heute schon? Die Zutaten hast du doch, sagtest du mir.«
»Ich habe ein magisches, leicht brennbares Pulver in meinem Koffer«, antwortete Zamorra. »Ich habe heute nachmittag nachgeprüft, ob dieses Pulver seine vernichtende Kraft noch hat, indem ich es auf ein mit Kreide gemaltes dämonisches Signum streute.«
Bill Fleming hatte es selbst gesehen. Das Pulver hatte das Dämonenzeichen ausgelöscht.
»Dann nahm ich eine Beschwörung der Weißen Magie vor und gab für ein paar Stunden mein magisches Amulett als Katalysator zu dem Pulver«, fuhr Zamorra fort. »Dadurch ist ein Prozeß eingeleitet worden, der etwa vierundzwanzig Stunden dauert. Wenn das Pulver morgen silbrig geworden ist, weiß ich genau, daß es die höchste Wirksamkeit erreicht hat. Diese hält nur ein oder zwei Tage an und klingt dann wieder ab. Das nur zur Information, damit du weißt, weshalb ich nicht gleich das richtige Pulver mitbrachte.«
»Kannst du es denn nicht heute schon versuchen?« fragte Bill Fleming. »Vielleicht ist das magische Pulver auch jetzt schon stark genug.«
Zamorra schüttelte den Kopf.
»Das ist mir zu riskant. Ich bin kein Raoul Morgand, daß ich einfach drauflosmarschiere. Wenn wir mit dem Pulver zur Geistermühle gehen und es wirkt nicht richtig oder gar nicht, befinden wir uns direkt im stärksten Machtbereich des Dämons. Ein weiteres Mal wird Beau Gunod mich nicht entkommen lassen. Willst du so enden wie Morgand, Bill?«
»Nein, das auf keinen Fall.«
Die beiden Männer betraten den Friedhof. Das Eisentor war ungeölt und quietschte in den Angeln. Zamorra leuchtete mit der mitgebrachten Taschenlampe. Er dachte flüchtig an Nicole, die mit Paulette
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