0066 - Todesgeister der Sahara
mit weiß getünchten Wänden. Als sie den Kopf ein wenig drehte, erkannte sie unter sich einen weichen Teppich. Er war der einzige Luxus, den man ihr zugestand.
Ansonsten war man nicht sehr freundlich zu ihr, wer »man« auch immer sein mochte. Sie war an Händen und Füßen gefesselt. In ihrem Kopf saß ein scheußlicher Druck. Sie erinnerte sich an das Betäubungsgas, das noch immer nachwirkte. Sie war prompt schon bei der Ankunft in eine Falle gegangen. Wer hatte sie gekidnappt? Und warum?
Die einzige Tür des fensterlosen Gefängnisses öffnete sich. Die Öllampen, die schwaches Licht verströmten, flackerten, als ein weißhaariger Mann in einem bodenlangen schwarzen Umhang eintrat. Sein Gesicht lag im Schatten. Jane sah nur das weiße Haar über dem dunklen Gesicht schimmern.
Er kam auf sie zu und beugte sich über sie. Die Privatdetektivin erhoffte sich Aufschlüsse, doch statt zu sprechen, schlug der Mann das Tuch von seinem Kopf.
Jane blickte in unergründlich schwarze Augen, mit denen plötzlich eine erschreckende Veränderung vor sich ging.
Sie drehten sich immer weiter nach oben, bis nur mehr das Weiße zu sehen war. Jane wollte schreien, doch ihre Kehle war wie zugeschnürt. Von den weißen Augäpfeln ging eine unheimliche Kraft aus, die in ihre Gedanken eindrang. Jane hatte das Gefühl, als würde dieser Mann ihr Gehirn ausquetschen und den geheimsten Gedanken aus ihr heraussaugen.
Eine volle Minute verharrte der Fremde in dieser Stellung. Dann richtete er sich auf und schüttelte den Kopf. »Du weißt nichts«, sagte er in holprigem Englisch, verließ den Raum und schlug die Tür hinter sich zu.
Minuten später betraten zwei ebenfalls völlig verhüllte Männer den Raum. Sie packten Jane, trugen sie auf einen Korridor hinaus und brachten sie durch verwinkelte Gänge, über Höfe, durch finstere Gassen und Straßen an eine Kreuzung. Dort stellten sie sie auf die Beine, lösten ihre Fesseln und tauchten im nächsten Moment in dem Winkelwerk der Altstadt von Tunis unter.
Jane Collins war frei, aber sie hatte nicht die geringste Ahnung, wo sie sich befand. Sie machte sich auf die Suche nach Menschen.
***
»Was hat sie?« rief ich erschrocken. Ich wollte der alten Wahrsagerin und Bettlerin helfen, doch diese stieß mich überraschend kräftig zurück.
»Ich brauche keine Hilfe«, sagte Fatme, und ihr gutes Englisch war die zweite Überraschung. »Sie wollen etwas über die Todesgeister wissen? Warum?«
Nun kam es darauf an, ob ich der alten Bettlerin trauen durfte oder nicht. Ich sah sie forschend an und beschloß, mich auf meine Menschenkenntnis zu verlassen. Und die sagte mir, daß Fatme nicht mit dem Bösen im Bund stand. Dennoch wollte ich eine Probe machen.
Auf mein silbernes Kreuz verzichtete ich. Wir befanden uns nicht in der christlichen Sphäre der Welt. Möglicherweise wirkte das Kreuz hier nicht so stark. Deshalb holte ich die Gnostische Gemme aus meinem Koffer, den ich bei mir trug, und hielt sie der alten Frau entgegen.
»Nehmen Sie!« forderte ich sie auf. »Halten Sie diesen Gegenstand!«
Sie sah mir in die Augen, nicht auf die Gemme. Um ihren zahnlosen Mund spielte ein seltsames Lächeln, und als ich ihr die Gemme in die welke Hand drückte, lachte sie leise. Ich hatte fast den Eindruck, als würde sie sich über mich lustig machen.
»Sie stellen Fatme auf die Probe.« Die Bettlerin kicherte. »Sie sind ein vorsichtiger Mann. Das ist gut, denn vorsichtige Männer leben länger.«
Alia verfolgte alles mit ziemlicher Verständnislosigkeit. Sie schien nicht viel von meinen Methoden zu halten. Doch als Fatme nach einer vollen Minute noch immer lächelte, wußte ich Bescheid. Sie war zuverlässig, denn jeder Diener des Bösen hätte nicht über so lange Zeit den Kontakt mit der Gnostischen Gemme ertragen.
»Sie wollen also etwas über die Todesgeister wissen«, wiederholte Fatme, nachdem ich die Gemme wieder im Koffer verstaut hatte. »Ich werde es Ihnen sagen. Aber vorher stelle ich Sie auf die Probe. Geben Sie mir Ihre Hand!«
Ich tat es, und die alte Bettlerin besah sich meine Handlinien. Ihr Gesicht zog sich in die Länge, sie riß die Augen weit auf und krächzte ein paar unzusammenhängende Worte. Fast ehrfürchtig ließ sie meine Hand los und sah mir lange ins Gesicht. Endlich nickte sie.
»Ja, Sie sind der richtige Mann, John Sinclair«, flüsterte sie. »Ich habe genug gesehen.«
Ich kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Vorhin hatte Alia nur meinen Vornamen
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