0066 - Todesgeister der Sahara
genannt. Nun kannte die Wahrsagerin meinen vollen Namen. Sie machte aber nicht den Eindruck, als hätte sie mich von Anfang an gekannt.
Ehe ich fragen konnte, griff Fatme nach Sukos rechter Hand, besah sie sich kurz und nickte, listig lächelnd und blinzelnd.
»Du brauchst keinen Koffer, mein Sohn, du hast es in den Händen«, murmelte die Alte kichernd. Sie hatte sogar durchschaut, welchem Zweck mein Koffer diente. Meine Hochachtung vor ihren Fähigkeiten wuchs.
Danach wandte sie sich Alia zu, um auch ihr aus der Hand zu lesen. Täuschte ich mich, oder zögerte unsere Dolmetscherin einen Moment lang? Fatme störte sich jedoch nicht daran.
Lange betrachtete sie die zarte Hand, ließ sie sinken und lächelte freundlich.
»Nun, was ist, Fatme?« fragte Alia ungeduldig, als die Handleserin beharrlich schwieg. »Willst du mir nicht sagen, was du gesehen hast?«
»Frag mich in einem Monat, mein Kind«, antwortete die rätselhafte Bettlerin. »Und nun laß mich mit deinen Begleitern allein!«
Sie sagte es so energisch, daß Alia nicht widersprach. Unsere Dolmetscherin ging ein paar Häuser weiter und ließ sich dabei nicht anmerken, ob sie verärgert war oder nicht.
»Warum haben Sie Alia weggeschickt?« fragte ich verblüfft. »Sie will uns helfen.«
Die Bettlerin schob sich einen Schritt näher. »Ich werde Ihnen sagen, John Sinclair, weshalb ich vorhin so erschrak, als Alia mich nach den Todesgeistern der Sahara fragte.«
Ich beugte mich gespannt vor. Diese Frau wußte mehr, als wir ahnten.
»Ich habe gefühlt«, flüsterte sie, »daß Alia eine enge Beziehung zu den Todesdämonen hat! Daran müßt ihr immer denken!«
***
Ich warf Suko einen betroffenen Blick zu. »Das darf nicht wahr sein«, rief ich unterdrückt.
Es erschien mir unglaublich, ungeheuerlich! Wieso ausgerechnet Alia? Sie war uns von dem Hotelangestellten an der Rezeption des Mirage empfohlen worden! Sie war seine Schwester! Wieso gerade sie?
Doch dann überlegte ich nüchtern. Wenn Bill Conollys und Tom Turners Verschwinden etwas mit den Todesgeistern der Sahara zu tun hatte, dann mußte die Ursache dafür in Tunis liegen. Das war nur logisch, sonst wären die beiden schon in London verschleppt worden.
Wo hatten sie sich in Tunis auf jeden Fall öfter und länger aufgehalten? Im Hotel. Weshalb also sollte nicht ein Mitglied des Hotelpersonals an ihrem Verschwinden mitschuldig sein? Oder eine Verwandte eines Hotelangestellten?
Plötzlich kam mir Fatmes Beschuldigung gar nicht mehr absurd vor. Ich sah die alte Frau erwartungsvoll an.
»Was ist mit Alia?« fragte ich hastig. »Was weiß sie?«
Die Bettlerin schüttelte den Kopf. »Ich bin nicht allwissend, John Sinclair«, antwortete sie ebenso leise. »Ich habe euch gewarnt. Nun liegt es an euch, wie ihr euch verhaltet.«
Ich sah ein, daß ich von ihr nichts mehr über unsere Dolmetscherin erfahren würde. Deshalb stellte ich eine andere wichtige Frage. »Was hat es mit diesen Todesgeistern der Sahara überhaupt auf sich?«
Die alte Frau sah sich besorgt nach allen Seiten um. Außer Alia war niemand in unserer Nähe.
»Es gibt sie seit Menschengedenken«, flüsterte Fatme. »Es sind die Geister von Menschen, die in der Sahara ums Leben kamen. Die Geister von Ermordeten, von Verdursteten. Aus der Unterwelt haben sich Dämonen dazugesellt. In manchen verfluchten Nächten haben sie Karawanen überfallen. An manchen Unglückstagen haben sie die Wüstenwanderer in Sandlöcher gelockt oder sie in einem Sandsturm vernichtet.«
Schon wollte ich mich enttäuscht abwenden. Was Fatme da erzählte, klang eher wie Aberglaube, wie ein Märchen aus Tausendundeiner Nacht. Es war eine schauerlich verbrämte Erklärung für Naturkatastrophen und Unglücksfälle, die sich in einem so riesigen Gebiet wie der Sahara fast täglich ereigneten. Doch dann sagte die alte Frau etwas, das mich elektrisierte.
»Seit Monaten sind die Todesgeister jedoch besonders aktiv, John Sinclair. Sie schlagen auch nicht mehr hier oder dort zu, sondern sie richten ihre Angriffe auf ganz bestimmte Ziele. Dann stoßen sie als riesige schwarze Fledermäuse aus dem Himmel herunter und holen sich ihre Opfer. Alles ist gelenkt, gesteuert und geplant. Dahinter steckt eine böse Intelligenz!«
»Wer?« stieß Suko atemlos hervor.
Die Bettlerin schüttelte den Kopf. »Ich bin nicht allwissend, mein Sohn. Ich habe es schön einmal gesagt, nicht wahr? Mehr kann ich euch nicht verraten, es tut mir leid. Aber seid vorsichtig. Auch du,
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