0066 - Todesgeister der Sahara
Bürgersteigen standen und gingen Menschen, lachten und unterhielten sich. Aus Straßencafes drangen die Klänge westlicher und arabischer Musik.
Jane blieb wie betäubt stehen. Sie konnte nicht glauben, daß sie sich so nahe an dem pulsierenden Leben befunden hatte und so einsam gewesen war. Sie wandte sich an die alte Frau.
»Was war das für ein Viertel?« fragte sie betont deutlich.
Die Bettlerin verhüllte ihr Gesicht. »Die Menschen haben Angst, mein Kind«, antwortete sie in akzentfreiem Englisch und hielt ein Taxi an. »Sie öffnen nicht, wenn die Dunkelheit den bösen Mächten den Weg zu ihren Häusern weist.«
Sie zog für die verblüffte Jane die Tür auf und ließ sie einsteigen. Als Jane in dem Taxi saß, warf die alte Frau die Tür wieder zu und steckte ihren Kopf zu dem Fahrer hinein.
»Hotel Mirage!« rief sie ihm zu.
Das Taxi ruckte an und mischte sich in den chaotischen Verkehr.
Jane Collins wirbelte herum und suchte die Bettlerin, aber diese war bereits in den Menschenmassen untergetaucht.
»Woher kannte sie nur den Namen des Hotels?« murmelte Jane fassungslos.
***
Ich ließ mir Alia gegenüber nichts anmerken. »Eine bemerkenswerte Frau«, sagte ich. »Was wissen Sie über Fatme?«
Alia schüttelte den Kopf, daß ihre langen schwarzen Haare flogen. »Genausoviel wie jeder in Tunis, nämlich nichts. Sie ist ein Rätsel.«
»Nicht nur Fatme«, warf Suko ein.
»Mein Freund meint, daß das Verschwinden der beiden Reporter ebenfalls ein Rätsel ist«, erklärte ich hastig, ehe Alia mißtrauisch wurde.
»Haben Sie herausgefunden, was Sie wissen wollten?« erkundigte sich die Dolmetscherin.
»Fatme hat nur Andeutungen gemacht«, antwortete ich ausweichend. »Wären Sie bereit, uns auf einer Expedition in die Sahara zu begleiten?«
Sie sah mich aus großen Augen an. Um ihre Mundwinkel zuckte es. Auf ihrem Gesicht erschien ein harter Ausdruck.
»Die Sahara ist groß, John.«
»Das genaue Ziel steht noch nicht fest.« Ich wollte sie aus der Reserve locken. Wenn sie mit den Todesgeistern in Verbindung stand, versuchte sie wahrscheinlich, uns zu deren Versteck zu führen. Falls sie einen Vorschlag für ein Reiseziel machte, konnte ich ziemlich sicher sein, daß sie uns dem Meister der Dämonen auszuliefern versuchte.
Alia zuckte die Schultern. »Warum sollte ich Sie nicht begleiten? Kommen Sie jetzt, mein Schwager wartet mit dem Taxi!«
Schweigend folgten wir ihr durch den Basar zurück zu der Stelle, an der wir das Taxi verlassen hatten. Hassan lehnte an seinem Wagen. Ich merkte sofort an seinem Gesicht, daß etwas geschehen war. Kaum sah er seine Schwägerin, als er sich schon auf sie stürzte und sie mit einem arabischen Wortschwall empfing. Alias Gesicht wurde bleich. Sie übersetzte für uns.
»Vor einer Stunde ist eine Karawane in Tunis eingetroffen«, sagte sie stockend.
»Ist das etwas so Besonderes?« erkundigte sich Suko erstaunt.
Alia achtete nicht auf die Zwischenbemerkung. »Sechzig Kamele.« Sie zitterte. »Sechzig Kamele haben wohlbehalten die Stadt erreicht. Aber von den zehn Begleitern und dem Anführer der Karawane fehlt jede Spur.« Sie schluckte und griff sich an die Kehle. »Das Fell der Kamele ist über und über mit Blut bespritzt.«
Ich überlegte, ob das etwas mit unserem Fall zu tun haben konnte. Es gab eigentlich keinen Anhaltspunkt. Dennoch interessierte ich mich für die Sache. »Woher kommt die Karawane? Kennt man ihre Route?«
Alia nickte. »Der Anführer heißt Habbas, ein erfahrener Mann. Die Karawane kam aus dem südlichen Libyen. Die Wege sind seit Jahrhunderten dieselben. Sie treffen hundert Kilometer südlich von Tunis auf ein wild zerklüftetes, kahles Gebirge. ›Die Zähne des Scheitans‹.«
»Die Zähne des Teufels?« Ich wurde hellhörig. Nicht umsonst waren Gebirge oder Gewässer nach dem Bösen benannt. »Was ist mit diesen Bergen?«
Ich erhielt keine Antwort. Alia schlug die Hände vor das Gesicht und sank schluchzend auf den Beifahrersitz des Taxis. Ihr Schwager Hassan warf uns einen vorwurfsvollen Blick zu, als ob wir daran schuld wären. Er beugte sich zu Alia hinunter und redete leise auf sie ein.
»Tut mir leid«, sagte unsere Dolmetscherin nach einigen Minuten, in denen wir hilflos neben dem Wagen gestanden hatten. »Ich bin noch immer nicht darüber hinweg. Vor zwei Jahren wurde mein Mann an den ›Zähnen des Scheitans‹ ermordet.«
Jetzt verstand ich ihr Verhalten – vorausgesetzt, sie sagte die Wahrheit.
Wir stiegen in
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