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0068 - Die Geisternacht

0068 - Die Geisternacht

Titel: 0068 - Die Geisternacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Wolf Sommer
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unbeirrbar, zielbewusst.
    Dann tauchten sie im Türrahmen auf. Tizoc Pizana versuchte das letzte, was ihm noch geblieben war. Er drehte den Karabiner um, schwang die Waffe wie eine Keule. Mit einem lauten Schrei stürmte er auf die Schrecklichen zu.
    Er kam nicht einmal an sie heran. Der eine von ihnen machte eine blitzschnelle Bewegung mit der Hand. Sonnenhell sah er etwas blitzen. Feuer und Rauch. Eine glühende Lanze fuhr ihm in beide Knie.
    Aufschreiend brach er zusammen.
    Sein Schrei war nicht der einzige, der durch das Haus gellte. Wenig später hörte er die flehenden Hilferufe Marias.
    Tizoc Pizanas eigener Schrei ging in ein ohnmächtiges, verzweifeltes Wimmern über.
    Tezcatlipocas Diener jedoch rührte dies nicht.
    ***
    Verblüfft starrte Professor Zamorra die Fotografie an, die sein Ebenbild zeigte.
    Er hatte keine Erklärung. Niemals war er zuvor in Sacromonte gewesen. Und niemals in seinem Leben hatte er sich in einem solchen Gewand zum Schlafen gelegt. Ein Doppelgänger? Es gab keine andere Erklärung.
    Er legte das Bild auf den Tisch. »Was ist das?«, fragte er.
    Der Padre lächelte schwach. »Erstaunlich, meinen Sie nicht auch?«
    »Das kann man wohl sagen!«
    »Diese Aufnahme habe ich selbst gemacht«, erklärte der Priester.
    »Vor etwa… warten Sie … Ja, es mögen rund sechs Monate her sein.«
    »Und wer…«
    »Das ist Xamotecuhtli. Ich nehme an, Sie haben den Namen mittlerweile schon gehört.«
    Der Professor nickte. »Gehört schon. Aber wer Xamotecuhtli ist… Abgesehen von einer wohl unübersehbaren Namensähnlichkeit …«
    Er zuckte die Achseln.
    »Xamotecuhtli ist eine Heldengestalt der Azteken, genauer gesagt der Chalca. Der Sage nach hat er vor rund fünfhundert Jahren der Schreckensherrschaft der sogenannten Jünger des Schrecklichen ein Ende bereitet. Die Jünger des Schrecklichen… So wurde eine bestimmte Götzenpriestergruppe genannt, die dem Gott Tezcatlipoca diente und von diesem zum Dank mit übernatürlichen Kräften ausgestattet wurde. Xamotecuhtli ist, so steht es in den Überlieferungen, mit dem guten Gott der Bewohner des alten Mexiko, mit Quetzalcoatl im Bunde gewesen und von diesem mit ewigem Leben belohnt worden, nachdem er die Jünger Tezcatlipocas vernichtet hatte.«
    Padre Henrique schwieg und labte sich an dem Pulqueglas, das der alte Mann mittlerweile vor ihn hingestellt hatte.
    Zamorra wurde leicht ungeduldig. »Alles gut und schön, Padre«, sagte er. »Aber was hat dies alles mit der Fotografie zu tun? Sie sagen, dass Sie sie selbst gemacht haben. Wir dürfen wir das verstehen? Das Bild sieht eigentlich zu echt aus, als dass Sie es von irgendeiner Buchseite abfotografiert haben könnten.«
    Der Gottesmann nickte langsam. »Sie haben recht – die Fotografie ist keine Reproduktion einer Buchseite. Es handelt sich um eine Originalaufnahme. Ich habe sie…« Er unterbrach sich und wischte sich einige Schweißtropfen von der Stirn, die allerdings nicht allein die Hitze dorthin gezaubert zu haben schien. »Entschuldigen Sie, aber es ist nicht einfach für mich, als Christ über heidnische Götzen zu sprechen, zumal …« Wieder ließ er seine Stimme abbrechen.
    »Zumal?«, drängte der Professor.
    Padre Henrique gab sich einen Ruck. »Nun«, sagte er gedehnt, »es sieht danach aus, als ob Quetzalcoatl den Helden Xamotecuhtli wirklich mit ewigem Leben beschenkt hat.«
    »Das müssen Sie näher erklären, Padre!«
    Der Priester tat dies: »Die bewusste Fotografie habe ich zwischen den Trümmern eines alten Götzentempels gemacht, der wenige Kilometer vor der Stadt liegt. Die Überlieferungen der Chalca berichten, dass Quetzalcoatl vor rund fünfhundert Jahren Xamotecuhtli im Tempel des Tezcatlipoca in eine Wolke bettete und der Held seitdem dort ruht. Nicht im symbolischen Sinn, sondern tatsächlich, ganz real. Berichte, die bis in die Gegenwart reichen, zitieren zahlreiche Augenzeugen, die ihn gesehen haben. Der Tempel ist längst verfallen, aber Xamotecuhtli ruhte noch immer auf seiner Wolke, von einem flimmernden Lichtbild umgeben. Ganz klar, dass von diesem Phänomen in den vergangenen Jahrhunderten kaum etwas an die Öffentlichkeit drang. Die Angelegenheit verträgt sich nicht mit der Doktrin und so erledigte man das Problem, indem man es einfach totschwieg. Die Ruinenstätte galt als verflucht und wurde gemieden. Vor etwas mehr als vierzig Jahren aber änderte sich das Bild. Xamotecuhtlis schlafende Gestalt verschwand, blieb auch jahrzehntelang verschwunden. In

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