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0068 - Die Geisternacht

0068 - Die Geisternacht

Titel: 0068 - Die Geisternacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Wolf Sommer
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Schließlich brachte er ein dünnes Heft zum Vorschein, in das er sich anschließend vertiefte.
    »Sie haben Glück«, sagte er. »Hier steht es tatsächlich!«
    Er nannte das Jahr.
    Zamorra rang um seine Beherrschung, auch wenn es schwer fiel.
    Das Jahr, in dem Xamotecuhtli aufgehört hatte, ohne Unterbrechung sichtbar auf seiner Wolke in der Tempelmine zu schlafen, war das Jahr gewesen, in dem er geboren wurde.
    ***
    Die Fahrt zum Ruinentempel des Tezcatlipoca war ziemlich beschwerlich. Es gab keine offizielle Straße, die hinführte. Lediglich einen schmalen Pfad, bedeckt mit Geröll und graubraunem Sand.
    Man tat hier wirklich nichts, um Touristen auf die alte Kultstätte aufmerksam zu machen.
    Zudem ging es bergan. Die Erbauer hatten den Tempel an einer Stelle errichtet, die wahrscheinlich schon damals nicht sehr zugänglich gewesen war, unmittelbar an der aufsteigenden Flanke des Vulkans.
    Der Chevy keuchte im Schritttempo den Pfad hoch. Steine schlugen gegen die Karosserie, und mehr als einmal drehten die Reifen laut quietschend durch. Staub überzog die Windschutzscheibe mit einem Film.
    Schließlich ging es nicht mehr weiter. Der Temperaturanzeiger kletterte innerhalb einer Minute in den roten Bereich. Fluchend hielt Bill an und stellte den Motor ab.
    »Was ist los?«, erkundigte sich der Professor.
    Bill zeigte nur stumm auf das Armaturenbrett.
    »Keilriemen gerissen, wahrscheinlich«, vermutete der Professor.
    Zusammen mit dem Amerikaner stieg er aus. Sie klappten die Kühlerhaube hoch. Eine Dampfwolke schlug ihnen entgegen. Sofort erkannten sie, dass der Keilriemen nicht schuld war. Er saß fest und stramm. Bill bückte sich und blickte unter den Wagen. Und da sah er die Bescherung. Aus dem Kühler sprudelte kochendheißes Wasser. Ein hochgewirbelter Stein hatte ein Leck in die Metallwandung geschlagen.
    An ein Weiterfahren war nicht zu denken.
    »Gehen wir eben zu Fuß«, sagte Zamorra. »Die alten Azteken hatten auch keine Autos. Und wenn wir auf ihren Spuren wandeln wollen…«
    Auch Nicole verließ das Fahrzeug. Dann marschierten sie los.
    Obgleich es brütend heiß war, kamen sie gut voran. Besser sogar als mit dem Auto. So wurden sie wenigstens nicht durchgeschüttelt wie in einem Betonmischer. Und außerdem – allzu weit konnten die Tempelruinen auch gar nicht mehr entfernt sein.
    Und das waren sie auch nicht. Der Pfad wand sich serpentinenförmig um den Berg. Sie umrundeten einen schroffen Felsen, und dann sahen sie die Trümmer plötzlich vor sich.
    Nicht nur die Trümmer.
    Da waren Menschen – zehn, zwölf, vielleicht auch mehr.
    Und um was für Menschen es sich handelte, konnten sie auch sofort erkennen. Wenigstens die Hälfte von ihnen gehörte den Jüngern Tezcatlipocas an. Die Jaguarfelle, die die Männer trugen, ließen keinen anderen Schluss zu.
    Die Jaguarfelle und das, was sie taten!
    Instinktiv hatten die drei nach dem Anblick der Männer Sichtschutz hinter dem Felsvorsprung gesucht. Aber das schreckliche Bild wirkte noch auf ihrer Netzhaut nach.
    Zamorra beugte sich wieder vor und starrte zu der Tempelruine hinüber. Ja, er hatte richtig gesehen beim ersten Mal.
    Furchtbares ereignete sich dort drüben. Messerklingen blitzten und Blut floss. Auf einem Stein lag ein Mensch, eine junge Frau, umringt von den Schrecklichen. Schreie drangen herüber, Schreie des Entsetzens.
    Die unseligen Götzenpriester waren dabei, ein Menschenopfer darzubringen!
    Bill Fleming, der jetzt ebenfalls die grauenhafte Szene auf sich einwirken ließ, war an sich ein Mann der Logik. Zumeist pflegte er erst zu denken, bevor er handelte. Diesmal jedoch war das anders. Die in ihm aufwallenden Emotionen setzten den Verstand außer Kraft. Seine natürlichen Reflexe übernahmen das Kommando.
    Mit einem Knurren griff er nach seiner Achselhöhle, wo er den Revolver aufbewahrte. Wie von selbst rutschte die Waffe in seine Hand. In Sekundenbruchteilen hatte er entsichert und angelegt.
    Dann schoss er, was der Lauf hergab. Die Schüsse krachten wie Donnerschläge zwischen den Felsen, wurden in Form eines sich brechenden Echos zurückgeworfen.
    Zamorra erkannte sofort, dass er letzten Endes nur Theaterdonner vom Stapel ließ. Die Entfernung war doch noch zu groß, um mit einem Revolver zielsicher treffen zu können. Höchstwahrscheinlich waren die Kugeln nicht einmal in der Lage, die Strecke zu überbrücken. Einmal verschwendete der Freund also nur Munition, und zum zweiten machte er die Schlächter auf sie

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