0070 - Die Teufelsbraut
Ein Mulatte. Uralt. Mindestens achtzig Lenze mußte der schon auf dem Buckel haben.
Der Mann regte sich nicht.
Lechenberg dachte zuerst, der Alte würde schlafen, dann sah er aber, daß der Mulatte die Augen offen hatte.
Am Ende ist der Knabe gar tot! schoß es Alf Lechenberg durch den Kopf.
Er trat in die Hütte und räusperte sich.
Jetzt kam Leben in die dürren Glieder des Mulatten. Er erhob sich. Ein seltsames Lächeln huschte über seine faltigen Züge. Und in seinen Augen war ein Ausdruck, der Alf Lechenberg erschreckte.
***
An wen bin ich da geraten? fragte sich Lechenberg.
»Ich bin Ludus Bajaja«, sagte der Alte, als könnte er Alf Lechenbergs Gedanken lesen. Es funkelte rätselhaft in den Augen des Mulatten.
Er erhob sich. Er wirkte kraftlos. Es schien, als könne er sich nur mit Mühe auf den Beinen halten. Er war beinahe so klapprig wie ein Skelett.
Lechenberg sah sich in der armseligen Hütte um. »Wohnen Sie hier?«
»Ja, seit vielen Jahren.«
»Sie mögen wohl keine Menschen, wie?«
»Wieso?«
»Weil Sie sich in dieser Gegend verkriechen.«
»Zwei Meilen von hier gibt es eine Bushaltestelle. Wenn ich will, bin ich im Nu in Rio. Wie kommen Sie hierher? Zu Fuß?«
Lechenberg schüttelte den Kopf. »Ich bin Busfahrer, wollte mal eine neue Strecke testen. Das ging prompt schief. Nun sitzt der Bus mit einem Achsbruch fest…«
»Sind Leute im Bus?« fragte Ludus Bajaja.
»Nein. Ich war allein unterwegs. Zwei Meilen ist die Bushaltestelle von hier entfernt?«
»Ja«, sagte Ludus Bajaja.
»Dann werde ich mich wieder auf die Socken machen. Entschuldigen Sie die Störung. Und vielen Dank für die Auskunft.«
Auf Ludus Bajajas Gesicht zeichnete sich Enttäuschung ab. »Warten Sie!« sagte er hastig.
»Ich habe leider nicht viel Zeit«, sagte Lechenberg, und er fragte sich, ob dieser Ausdruck in Bajajas Augen Gier war.
Gier – wonach? »Wie lange haben wir noch Tag?« fragte Ludus Bajaja zu Alf Lechenbergs Verwunderung. »Wann geht die Sonne unter?«
»In einer halben Stunde, nehme ich an. Deshalb muß ich mich ja beeilen.« Alf Lechenberg wandte sich um.
Da stieß der Alte einen langgezogenen Seufzer aus. Lechenberg glaubte, der Mulatte würde seinen letzten Schnaufer tun.
Er hätte es nicht übers Herz gebracht, einfach fortzugehen und den Alten seinem Schicksal zu überlassen.
Das Gesicht des Mulatten war schmerzverzerrt. Ludus Bajaja griff sich mit seinen dürren Händen auf den Magen.
Er wankte, Alf Lerchenberg sprang zu ihm und stützte ihn. »Was ist los mit Ihnen?« fragte der Busfahrer besorgt. »Was haben Sie? Mann, in Ihrem Alter sollten Sie nicht in dieser Einsamkeit leben. Wenn Sie schnell einen Arzt brauchen, was tun Sie denn dann?«
»Ich bin krank«, stöhnte der Mulatte. »Ich weiß, daß ich sterben werde. Wozu sollte ich einen Arzt bemühen? Ich möchte nicht, daß man mein Leben mit Medikamenten künstlich verlängert. Wenn meine Lebensuhr abgelaufen ist, dann soll sie abgelaufen bleiben. Niemand soll sie noch einmal aufzuziehen versuchen.«
Der Deutsche führte Ludus Bajaja zum Feldbett.
Langsam ließ sich der Alte darauf nieder. Lechenberg riet ihm, sich hinzulegen.
Bajaja ächzte herzzerreißend. »Der Magen. Es ist der Magen, junger Freund.«
»Gibt es denn nichts, womit Sie die Schmerzen bekämpfen können?«
»Tee. Ein Becher Tee würde mir guttun.«
»Ich mache Ihnen welchen«, entschied Alf Lechenberg. Er begab sich zum Herd und setzte Wasser auf.
Ludus Bajaja krümmte sich auf dem Bett. Alf Lechenberg suchte den Tee. Er fand ihn erst, als das Wasser schon kochte.
Sobald der Tee fertig war, füllte Lechenberg ihn in einen Blechbecher, der ziemlich verbeult war. Er eilte damit zum Feldbett.
»Hier. Trinken Sie. Das wird Ihnen guttun«, sagte er.
»Ich danke Ihnen«, keuchte Ludus Bajaja. »Sie sind ein guter Mensch. Wie heißen Sie?«
»Alf Lechenberg. Ich bin Deutscher.«
»Aus welcher Stadt kommen Sie?«
»Dortmund. Reden Sie nicht so viel. Trinken Sie lieber.«
Ludus Bajaja trank mit kleinen Schlucken. Alf Lechenberg konnte nicht wissen, daß der Alte gar keine Schmerzen hatte.
Ludus Bajaja wollte lediglich Zeit gewinnen. Die Sonne mußte untergehen. Am Tag war er nichts weiter als ein alter, klapperdürrer Mann.
Wenn der Tag aber zur Neige ging, erstarkte der Mulatte. Und Fähigkeiten entfalteten sich in ihm, die den jungen Deutschen zu Tode erschrecken würden.
Doch noch war es Tag.
»Wie schmeckt der Tee?« fragte
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