Der wilde Tanz der Seidenröcke: Roman
VORWORT
Als der Romanzyklus
Fortune de France
beendet war, konnte ich mich endlich zurücklehnen und mein Werk überschauen: neun Jahre Arbeit wie ein Benediktinermönch, viele lange Tage in der Bibliothèque Nationale, fünf Stunden Schreiben täglich, und vor allem habe ich mir vom ersten bis zum sechsten Band und bis auf den heutigen Tag die Gunst des Lesers bewahrt.
Für den Moment war ich recht glücklich, daß ich meine Reihe bis zu einem guten, runden Schluß durchgehalten hatte, bis zum Jahr 1599 nämlich: dem letzten des 16. Jahrhunderts, jenem Jahr, in dem der Pariser Gerichtshof das Edikt von Nantes anerkannte, kraft dessen Heinrich IV. der katholischen Kirche und der protestantischen Gemeinde seines Reiches Koexistenz gebot: denn dies war eine Revolution, eine ebenso bedeutungsvolle wie die des Kopernikus, als er das geozentrische Weltbild, auf dem die Theologie so lange beruht hatte, in den Bereich der Fabel verwies.
Der Weg bis zum Edikt von Nantes war blutig. Der Jahrzehnte währende Kampf zieht sich als roter Faden durch die sechs Bände von
Fortune de France
und hält sie im Innersten zusammen. Und dieser Kampf, der von König Heinrich III. mit einer Hellsichtigkeit und einem Mut aufgenommen wurde, die um so bemerkenswerter sind, als er nur über geringe Kräfte verfügte und dazu ein sehr frommer Katholik war, wurde durch Heinrich IV. beendigt, als er sein Königreich mit dem Schwert zurückerobert hatte und die Fanatiker beider Fronten zum Frieden zwang.
Einige Jahre, nachdem ich
Fortune de France
beendet hatte, sah ich allerdings, daß ich zu optimistisch gewesen war, als ich mein Werk mit dem Edikt von Nantes als dem Sieg der Gewissensfreiheit und dem Anbruch einer neuen Ära schloß. Denn es war ein anfälliger und nur zeitweiliger Sieg gewesen; am Ende der Herrschaft Heinrichs IV. flammte der Kampf erneutheftig auf, und die Prediger der Liga zogen von den Kanzeln herab offen, manchmal sogar mit Drohungen gegen das Edikt von Nantes und gegen den König zu Felde.
Diese letzten drei Jahre seiner Herrschaft sind durch die unbändige Lebenslust des Königs und seines Hofes gekennzeichnet. Er verbrachte soviel Zeit beim Kartenspiel, auf der Jagd und in weiblichen Betten, daß darüber fast vergessen wurde, daß er in der Bastille einen Kriegsschatz anhäufte, eine höchst aktive Diplomatie betrieb und ein schlagkräftiges Heer aufstellte, um endlich mit dem König von Spanien fertig zu werden und dadurch zugleich mit den Fanatikern der Liga in Frankreich.
So kam es, daß ich
Fortune de France
weiterspann. Daraus wurde das Fresko
Der wilde Tanz der Seidenröcke,
welches, um ein getreues Bild jener Zeit zu geben, nicht anders als frivol sein konnte – und es bereits vom Titel her ist –, zugleich aber voll einer untergründigen Spannung und Dramatik, bis all der angestaute Haß gegen die Toleranz des Königs sich in der Bluttat entlädt.
Während ich diesen Roman schrieb, sagte ich mir so manchesmal, wenn ich den Kampf der Gewissensfreiheit gegen den Fanatismus, sei er religiös, sei er ideologisch, weiter verfolgen wollte, müßte ich meine Saga eigentlich bis in unsere Zeit fortführen und die ganze Welt einbeziehen. Weil ich ein so gewaltiges Thema aber nicht bewältigen kann – das einzige ernsthafte Problem unserer Epoche immerhin, denn wenn es nicht gelöst wird, geht unser gefährdeter Planet eines Tages in der Kälte und Finsternis nach einem Atomkrieg unter –, weil ich dies also nicht kann, werde ich mich auf den Anfang des 17. Jahrhunderts und auf jene besagten drei kurzen Jahre beschränken.
Da der Leser sicherlich wissen will, ob ich vorhabe,
La Volte des Vertugadins
fortzusetzen, möchte ich ihm hier antworten. Es ist nicht ausgeschlossen, daß ich es tue, denn während ich an diesem Buch schrieb, verliebte ich mich nicht wenig in den reizenden kleinen Dauphin, der ja in neuem Licht erscheint, seit Madeleine Foisil in einer bewunderungswürdigen Sisyphosarbeit das gesamte
Tagebuch des Doktors Héroard
entziffert und herausgegeben hat. Und es würde sich wirklich lohnen, den Kronprinz Ludwig und seine Verdienstekennenzulernen, besonders in dem Kampf, den er nach dem Tod seines Vaters gegen die mißliche Regentschaft seiner Mutter führte. Aber das ist, wie Kipling sagt, »eine andere Geschichte«. 1
Robert Merle, 1991
ERSTES KAPITEL
Wenn man von der Taufe eines Menschen auf seinen späteren Werdegang schließen könnte, hätte ich mir, da die meine geradezu glorreich war,
Weitere Kostenlose Bücher