0071 - Knochensaat
für Schritt bewegte ich mich auf den Unheimlichen zu. Dabei näherte ich mich dem Stein immer mehr und konnte in sein Inneres schauen.
War das überhaupt eine feste Form, die ich da sah? Alles war in Bewegung, rotierte, quirlte durcheinander, floß zusammen, um sich später wieder zu teilen. Ein ewiger Kreislauf! In einem Stein? Vielleicht…
Oder stand ich hier nicht einem ganz anderen Phänomen gegenüber?
Wie dem auch sei, ich spielte im Augenblick nur die zweite Geige. Neben Albertus Krogmann blieb ich stehen. Ich roch den Moder, der von dieser Gestalt ausging, und hielt unwillkürlich einen Augenblick die Luft an. Das flaschenförmige Wesen aber stieß ein tiefes Summen aus. Der Ton breitete sich aus, er drang in mein Gehirn, wurde dort verstärkt und gleichzeitig analysiert. Plötzlich verstand ich Worte, und ich wurde restlos über den Fall aufgeklärt.
»Ich habe dich erwählt, weil wir in unserem Reich die Menschen und deren Reaktionen studieren. Schon immer haben wir welche von euch mitgenommen. Diese Stelle hier war berühmt, und vor Hunderten von Jahren hatte uns Albertus Krogmann, der Magister, die Menschen zugeführt, die wir in unsere Welt jenseits von Raum und Zeit schafften. Hinein in andere Dimensionen, in Reiche, die so unendlich weit entfernt sind, daß ihr Menschen nicht einmal davon zu träumen wagt. Es hatte alles wunderbar geklappt, bis uns der Gegenzauber traf und Albertus Krogmann getötet wurde. Aber nicht für immer, das konnten wir mit unserer Magie noch erreichen, obwohl wir selbst nicht mehr von dieser Erde wegkamen, denn euer primitiver Menschenzauber war doch so stark, daß wir kein Gegenmittel besaßen. Wir wurden zu Gefangenen. Die Jahrhunderte vergingen, aber wir hörten nicht auf zu existieren. Wir schliefen nur. Und während unseres Schlafs sammelten wir die Kräfte, um die Erdenmagie zu sprengen. Das geschah heute, an diesem Tag. Nun sind wir frei. Albertus Krogmann und auch ich. Gleichzeitig jedoch wurde unser Zauber so stark, daß selbst die Skelette wieder zu lebendigen Wesen auferstanden. Denn sie sind unsere Diener. Sie beschaffen uns die Menschen, die wir in unserem Reich brauchen. Als Sklaven und Studienobjekte.«
»Woher kommst du?« fragte ich. »Kennst du Asmodis oder den Schwarzen Tod?«
Wieder klang die Stimme in meinen Gedanken auf. »Nein, ich habe davon gehört. Asmodis ist mächtig, aber der Schwarze Tod ist ein Wicht gegen uns. Wir sind älter. So alt, daß dein Gehirn es nicht zu fassen vermag. Wir waren und werden sein. Auf unserer Welt gibt es kein Gut und Böse, keine Unterschiede. Was gut ist, kann auch böse sein, was böse ist, kann auch gut sein. Wenn jemand sterben muß, dann wird er sterben. Das spielt keine Rolle.« Die Worte hatten mich hart getroffen, sehr hart sogar. Angst erfaßte mich. Nicht einmal so sehr um mich, sondern um all die Menschen, die in dieser Waldlichtung standen und wie stumme Statisten eine Szene bevölkerten, die gut in einen SF-Film gepaßt hätte.
Plötzlich wurde mir klar, daß ich die Unschuldigen nicht im Stich lassen konnte, daß ich nicht mitfliegen oder -fahren durfte.
Nein, ich mußte etwas tun.
Das Wesen vor mir geriet wieder in Bewegung. »Ich errate deine Gedanken«, hörte ich die Stimme in meinem Gehirn. »Du willst nicht mit. Wenn schon nicht als Lebender, dann als Toter.« Den nächsten Befehl sprach es laut aus, und er galt Albertus Krogmann, dem Magister aus dem späten Mittelalter. »Schaff ihn in den Stein. Egal wie!«
Sofort sprang ich zur Seite.
Im selben Augenblick zog der Magister Albertus Krogmann mit einer gedankenschnellen Bewegung sein Schwert. Schaurig lachte er auf, als die Waffe durch die Luft pfiff. »Darauf habe ich lange genug gewartet. Jetzt werde ich dir den Schädel abschlagen, John Sinclair!«
***
Albertus Krogmann meinte es ernst. Und welche Waffen hatte ich? Die Dämonenpeitsche und meinen Dolch. Die erste konnte ich vergessen. Bis ich sie gezogen und damit einen Kreis geschlagen hatte, war ich verloren, nein, das kostete zuviel Zeit. Blieb der Dolch. Schwert gegen Dolch. Das gefiel mir gar nicht.
Das Wesen war sofort zurückgetreten und hatte sich dem rotglühenden Stein genähert, während die Skelette einen Kreis bildeten und ihn ziemlich eng zogen, so daß meine Bewegungsfreiheit arg eingeschränkt wurde. Mir war klar, daß Albertus Krogmann phantastisch mit dem Schwert umgehen konnte, gehörte es zu seiner Zeit doch zur beliebtesten Waffe, wie damals der Colt im Wilden
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