0071 - Knochensaat
Dort blieben sie stehen und warteten.
Uns hatten sie noch nicht gesehen. Wir befanden uns in relativ guter Deckung, und in unserem Rücken tauchte auch kein Knochenmann mehr auf.
Eine Haustür klappte. Peitschend hallte das Geräusch durch die Stille.
Ein Knochenmann verließ das Haus und hatte ein kleines blondes Mädchen auf seiner Schulter liegen. Und dann zuckte ich zusammen wie unter einem schweren Peitschenhieb.
Ich hatte etwas gehört, was mir eine Gänsehaut über den Rücken trieb. Das Kind – das Mädchen – es weinte!
***
Das dünne Stimmchen klang zu uns herüber, und es schnitt mir ins Herz, als ich das Weinen vernahm. Der Pfarrer neben mir bekreuzigte sich hastig. In der linken Hand hielt er die Waffe. Seine Finger umklammerten den Griff so fest, daß die Knöchel spitz weiß hervortraten. »Sie haben es auch gehört?« Seine Stimme war kaum zu verstehen.
»Ja, das Kind ist bei Bewußtsein.«
»Was sollen wir tun? Wir können es doch nicht so ohne weiteres diesen Bestien überlassen!«
Ich schüttelte den Kopf. »Bestimmt nicht.« Pfarrer Kroger schaute mich an. »Würden Sie…?«
Ich nickte. »Versuchen werde ich es auf jeden Fall.« Die Vorzeichen hatten sich verändert. Bis jetzt hatte ich nicht vorgehabt, einzugreifen, doch nun gab es für mich keine andere Möglichkeit. Ein Kind lief Gefahr, von diesen Horror-Gestalten umgebracht zu werden. Da durfte und konnte ich nicht zusehen. »Sie halten auf jeden Fall hier die Stellung«, flüsterte ich dem Pfarrer zu, »egal, was geschieht!«
Der Geistliche nickte. »Gott sei mit Ihnen!«
Ich schlich davon. Diesmal nahm ich nicht den normalen Weg zum Brunnen hinunter, sondern kletterte so lautlos wie möglich über das Geländer.
Neben der schmalen Mauer duckte ich mich, so daß ich mit deren Schatten verschmolz.
Keiner hatte mich bisher gesehen. Ich hoffte, daß dies auch vorläufig so bleiben würde.
Die Skelette erschienen immer noch aus allen möglichen Richtungen und schritten zum Sammelplatz. Das Klappern der Knochen wurde nicht von dem dünnen Weinen des Mädchens übertönt.
Ich bewegte mich ein paar Meter voran und mußte dann meine Deckung verlassen. Geduckt kauerte ich mich nieder.
Meine Blicke streiften über den Platz. Das Skelett hatte das kleine Mädchen auf den Brunnenrand gesetzt, wo es weiterhin hocken blieb und weinte. Es jammerte nach seiner Mutter, doch das Rufen hatte keinen Erfolg. Wenn ich die Kleine herausholen wollte, dann mußte ich einen regelrechten Frontalangriff versuchen, denn das Kind wurde von den Knochenmännern gut abgeschirmt, und diesen Ring mußte ich erst einmal durchbrechen. Noch einmal holte ich tief Luft. Pfarrer Kroger konnte ich nicht sehen. Die Mauer nahm mir die Sicht. Dann startete ich. Wie ein Hundertmeterläufer sprintete ich auf den Brunnen zu. Erst als ich die Hälfte der Strecke hinter mir hatte, entdeckten mich die Gerippe.
Doch bis sie die Situation erfaßten, verging auch wieder Zeit, die ich nutzen konnte. Und ich griff an. Ich schoß zwar nicht, denn es hätte gut sein können, daß ich unschuldige Menschen traf. Dafür arbeiteten meine Arme wie Dreschflegel. Die Waffe hatte ich mir zwischen die Zähne geklemmt. Handkanten trafen die Horrorwesen, wirbelten sie durcheinander.
Obwohl sie keinen Schmerz verspürten, wurden sie doch von der Wucht der Schläge zur Seite geworfen. Ich bahnte mir eine Gasse. Dann war ich bei dem Kind.
In den Bruchteilen von Sekunden sah ich ein kleines rundes Gesicht mit weit aufgerissenen Augen, in denen ich den Schrecken las, den die Kleine verspürte. Beide Arme streckte ich vor und riß die Kleine vom Brunnenrand. Dabei sah ich das kleine Kreuz, das sie an einer Kette um den Hals gebunden trug.
Wie es schon die Skelette bei ihren Opfern getan hatten, so warf ich mir das Mädchen über die linke Schulter, drehte mich um und rannte wieder weg. Doch diesmal hatten sie Front gemacht. Die Gerippe bildeten eine Mauer, um mich und das Kind festzuhalten. Ich riß die Waffe zwischen den Zähnen hervor. Dann feuerte ich.
Im Laufen schoß ich drei Kugeln ab, und die Silbergeschosse sprengten die klappernden Gerippe buchstäblich auseinander. Knochen wirbelten durch die Luft und fielen klackernd auf die Straße, wo sie weiterrutschten. Ich hatte jetzt freie Bahn.
Wie ein Irrwisch rannte ich auf den schmalen Pfad zu, wo der Pfarrer auf mich wartete. Doch die Skelette waren schlau. Von links schnitten sie mir den Weg ab.
Verdammt, das war nicht mehr zu
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