0072 - Die Ruine des Hexers
erfunden.«
»Etwas so Verrücktes? Da müßte der Mann wahnsinnig sein. Er ist aber geistig vollkommen klar.«
Es wurde nicht mehr viel gesprochen, und wenn, dann nur belanglose Dinge. Nicole erkannte, daß Zamorra nicht mehr von diesem Fall abzubringen war.
Das Schloß und das Landgut der de Gascoynes lag in dem Dreieck, das die Flüsse Mayenne und Sarthe bildeten, beides rechte Nebenflüsse der Loire.
Zamorra fuhr über die Brücke und an Angers vorbei zum Gutsbesitz der de Gascoynes. Den Weg hatte Zamorra sich am Telefon beschreiben lassen. Er führte durch einen großen Wald, hinter dem sich Weinberge auf sanften Hügeln erstreckten.
Der Frühlingstag war so schön, daß Nicole kaum glauben mochte, daß sich hier etwas Unheimliches abspielen konnte. Aber sie spürte die Spannung, die Zamorra mehr und mehr erfaßte.
Der Jäger witterte die Beute.
Die de Gascoynes bewohnten ein Landschlößchen, das ursprünglich im späten 17. Jahrhundert erbaut worden war. Seither hatte es natürlich einige Umbauten, Neubauten und Renovierungen gegeben. Das Schlößchen lag in einen großen Park eingebettet an einem Weiher, auf dem Schwäne schwammen.
Zamorra hielt vor dem Haupthaus, an dem die Fahne mit dem Familienbanner auf Halbmast hing. Das Familienbanner zeigte drei weiße Lilien auf rotem Grund und eine goldene Hand. Ein halbes Dutzend Wagen standen vor der Feitreppe.
Als Zamorra und Nicole ausstiegen, kam ein großer, breitschultriger Mann aus dem Haus. Er trug Knickerbocker und kniehohe Stiefel.
»Wen darf ich melden?« fragte er.
»Professor Zamorra und seine Sekretärin Nicole Duval. Mit wem habe ich das Vergnügen?«
»Ich bin Pierre Brest, der Gutsverwalter. Ich weiß, weshalb Sie herkommen, Professor Zamorra.«
»So? Nun, weshalb komme ich denn?«
»Die Baronesse hat Sie angerufen, Madame Anne de Gascoyne. Sie ist natürlich sehr mitgenommen, die Arme. Ein schwerer Schlag. Aber Ihr Erscheinen wäre nicht nötig gewesen. Der Täter ist bereits von der Polizei verhaftet, der alte Förster François Dissot. Er muß mit dem Baron in Streit geraten sein, und deshalb hat er ihn erschlagen.«
»Die Baronesse hat es mir am Telefon anders geschildert.«
Pierre Brest winkte ab.
»Sie werden doch nicht diese Faseleien eines alten Mannes glauben, Professor Zamorra. Ich bitte Sie, ein Mann von Ihrer Bildung und Ihrem Verstand. Es kann nur Dissot gewesen sein, das sagte auch der Inspektor aus Angers. Daran gibt es gar keinen Zweifel.«
»Nun, da wir schon einmal hier sind, wollen wir Madame Baronesse unser Beileid aussprechen. Und dann werde ich mir den Tatort ansehen. Immerhin bin ich ein paar hundert Kilometer weit gefahren.«
Der Gutsverwalter zuckte die Achseln. Er führte Zamorra und Nicole ins Haus, in die Halle mit der zweiseitigen Treppe zum ersten Obergeschoß. Nicole betrachtete das Deckengemälde, das eine Jagdszenc darstellte.
An den Wänden hingen Bilder. Ein schwerer geschmiedeter Leuchter spendete Licht. Arme Leute waren die de Gascoynes gewiß nicht. Pierre Brest ließ die beiden Besucher eine Weile warten. Dann kam er mit einem jungen Mann von etwa vierundzwanzig Jahren zurück.
Der Mann trug einen maßgeschneiderten dunklen Anzug und eine schwarze Krawatte. Er küßte Nicole die Hand und gab Zamorra knapp die Rechte. Sein Blick war abweisend.
»Ich bin Paul de Gascoyne. Ich danke Ihnen, daß Sie den weiten Weg gemacht haben. Aber Sie müssen verstehen, meine Mutter war erregt, als sie mit Ihnen redete. Es ist natürlich nichts Übernatürliches im Spiel. Selbstverständlich können Sie hier mit Mademoiselle Duval übernachten, Professor Zamorra. Wenn Sie wollen, dürfen Sie auch an der Beisetzung meines Vaters teilnehmen. Aber eine Aufgabe als Parapsychologe haben Sie hier nicht zu erfüllen.«
»Ich denke, das kann ich selber beurteilen«, antwortete Zamorra, dem es nicht gefiel, daß der junge Mann ihn so von oben herab behandelte. »Kann ich jetzt Ihre Frau Mutter sprechen?«
»Wir haben ein paar Leute im Haus, die zum Kondolieren erschienen sind. Ständig treffen Beileidstelegramme und Anrufe ein. Mein Vater war nicht irgendwer. Die Trauerfeier findet am Sonntag in der Kathedrale in Angers statt, die Beisetzung in der Familiengruft am Montag. So ein unverhoffter Todesfall bringt manches mit sich. Meine Mutter hat zu tun.«
»Sie wird mich trotzdem sprechen wollen. Deshalb hat sie mich schließlich angerufen. Wo finde ich die Baronesse?«
Paul de Gascoyne sah, daß er Zamorra nicht
Weitere Kostenlose Bücher