0077 - Die teuflischen Puppen
Babypuppen und Stoffpuppen.
Die Auswahl war ungeheuer. Der Käufer hatte wirklich die Qual der Wahl.
Sie alle sahen süß und harmlos aus. Mit ihren runden, angemalten Gesichtern, den großen blauen Augen und den rosigen Wangen.
Shao blieb stehen, faßte eine Puppe an und beugte sie nach vorn.
»Mammy!« quäkte die Puppe.
Die Chinesin lächelte.
Harmlos…
Wenn sie richtig darüber nachdachte, war es eigentlich Unsinn, was der Sterbende da gesagt hatte. Puppen, die mordeten. Unmöglich, das war nicht drin.
Aber sagte ein Sterbender die Unwahrheit?
Das hatte Shao ebenfalls noch nie gehört. Und in Verbindung mit Voodoo bekam die Sache einen ganz anderen Sinn.
Shao erreichte das Regal, in dem die Stoffpuppen standen. Auch hier bemerkte sie nichts Verdächtiges. Die Spielzeuge sahen so harmlos und lieb aus, daß der Verdacht eigentlich lächerlich war.
Trotzdem blieb ein ungutes Gefühl zurück.
Die Chinesin schritt wieder zurück. Sie nahm den gleichen Weg wie zuvor und schaute sich die Puppen noch einmal an.
Sie blickte in die Gesichter, in die Augen, und plötzlich zuckte sie zurück.
Ein Augenpaar hatte sich bewegt!
Sicher, es gab Puppen, die mit den Augen rollten, aber dann mußte man sie drehen oder beugen. Doch diese Puppe hatte von allein mit den Augen gerollt.
Shao schaute genauer hin.
Sie streckte die rechte Hand aus, doch sie traute sich nicht, das Spielzeug zu berühren. Eine unerklärliche Angst hielt sie davon ab. Die Puppe starrte sie so haßerfüllt an, daß ihr ein Schauer über den Rücken lief. Die Arme hatte sie angewinkelt, die kleinen Kunststoffhände waren zu Fäusten geballt.
Shao fragte sich, ob sie hier vor der Mörderin des Toten stand. Sie holte noch einmal tief Luft und berührte die Puppe mit den Fingerspitzen.
Die Chinesin erstarrte.
Die Kunststoffhaut war eiskalt!
Jetzt wußte Shao genau, daß mit dieser Puppe einiges nicht stimmte. Dabei sah sie so harmlos aus in ihrem kurzen roten Kleidchen, den weißen Socken und den ebenfalls roten Schuhen.
Ein Kinderspielzeug.
Doch ein tödliches…
Konnten die kleinen Hände wirklich den Griff eines Messers umklammern? Shao stellte sich diese Frage verzweifelt. Normalerweise unmöglich, doch das letzte Wort hatte sie aus ihrem Repertoire gestrichen.
Shao wußte, daß es Mächte gab, die jenseits der normalen Welt existierten. Doch diese Mächte waren böse, gemein und gefährlich. Für sie existierten nur die Gewalt, das Chaos und das Grauen. Wenn sie in die normale Welt eindrang gen, dann verbreiteten sie Angst und Schrecken. Es gab kaum jemanden, der sich gegen sie stemmte. Zu den wenigen Leuten, die die Gefahr erkannt hatten, gehörte die Gruppe um John Sinclair. Aber sie stand oft genug auf verlorenem Posten gegen die geballte Macht des Bösen.
»Suchen Sie etwas?«
Shao schrak zusammen, als sie die Stimme dicht neben ihrem rechten Ohr vernahm. Ihr Herz klopfte schneller, und unwillkürlich legte sie die Hand unter ihre linke Brust.
Der Mann, der sie angesprochen hatte, war Clint Cassidy. Vertraulich legte er einen Arm um ihre Schulter. »Die Polizei wartet auf Sie, Shao. Ich bringe Sie zu den Beamten. Sie brauchen keine Angst zu haben. Am besten ist, Sie sagen nur das, was ich Ihnen…«
Mit einer Drehung schüttelte Shao den Arm des Mannes ab. »Ich weiß selbst, was ich zu sagen habe«, erwiderte sie.
»Bitte, wie Sie wollen. Ich wollte Ihnen nur helfen, weil ich es gut meine.«
»Ja, ja, das kenne ich«, gab Shao sarkastisch zurück. Sie ließ sich auf nichts mehr ein, sondern schritt vor dem Detektiv her.
Cassidy schaute ihr nach. Und ein lauerndes Grinsen umspielte dabei seine Mundwinkel…
***
Die Männer der Mordkommission hatten uniformierte Kollegen zu Hilfe gerufen. Die unmittelbare Nähe des Tatortes war abgesperrt worden. Schnell angebrachte Seile hielten die Neugierigen ab. Wer trotzdem versuchte, über die Stricke zu steigen, wurde nachdrücklich zurückbefördert.
Shao hielt ein baumlanger Polizist auf.
»Ich bin die Mordzeugin«, sagte die Chinesin.
»Augenblick bitte.« Der Polizist wandte sich ab und winkte dem Leiter der Mordkommission.
Der kam sofort herüber.
Shao kannte den Mann nicht. Dem Alter nach zu urteilen, mußte er dicht vor der Pensionierung stehen. Er war klein, ging gebückt und hatte ein zerknittertes Gesicht.
Shao stellte er sich als Oberinspektor Cromwell vor.
Die Chinesin sagte ihren Namen und stieg über die Absperrung. Cromwell zog Shao sofort zur Seite. Er rammte
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