0077 - Die teuflischen Puppen
beide Hände in die Hosentaschen und sagte: »Nun berichten Sie mal, was Ihnen widerfahren ist. Sie haben den Mord also gesehen.«
»Nein.«
»Wieso? Ich…«
»Ich habe den Mord nicht gesehen, sondern nur beobachtet, wie der Mann starb.« Shao erzählte jetzt genau, was sie gesehen hatte.
Der Polizist nickte bedächtig. »Zeugen berichteten mir, daß Sie noch mit dem Schwerverletzten gesprochen hätten. Entspricht das den Tatsachen?«
»Es stimmt.«
Cromwell zeigte zum erstenmal ein Lächeln. »Interessant, sehr interessant sogar. Dann wird Ihnen der Mann vor seinem Ableben sicherlich noch den Namen seines Mörders genannt haben.«
Shao überlegte. Wenn sie von ihrem Verdacht sprach, würde man sie bestimmt auslachen. Andererseits durfte sie keinerlei Informationen für sich behalten. Deshalb entschied sie sich dafür, die Wahrheit zu berichten.
Das faltige Gesicht des Oberinspektors wurde noch zerknitterter. Seine Mundwinkel zogen sich nach unten, so daß die Lippen aussahen wie ein Halbmond.
Er unterbrach Shao mit einer schroffen Handbewegung. »Das ist Unsinn, was Sie da sagen. Daran glauben Sie doch selbst nicht.«
»Dann hätte ich ja wohl nicht diese Aussage gemacht«, erwiderte die Chinesin.
»Und der Schwerverletzte hat tatsächlich von einer Puppe gesprochen, bevor er starb?« Die Frage klang spöttisch.
»Ja.«
Das Lachen des Oberinspektors war unecht wie seine Zähne. »Die Aussage hätte er sich schenken können. Der hat irgend etwas zusammengesponnen, das ist alles.«
Shao schwieg.
»Sonst haben Sie uns nichts mitzuteilen?«
»Nein, Sir.«
»Mordende Puppen. Wo gibt es denn so etwas?« Cromwell schüttelte den Kopf. Er winkte seinen Assistenten herbei, einen schmalbrüstigen jungen Mann mit dunkler Hornbrille. »Haben Sie die Personalien des Toten aufgenommen?«
»Ja.«
»Und?«
»Sein Name lautet oder lautete Gilbert Cress. Er ist auf den Westindischen Inseln geboren und erst vor etwa zehn Jahren nach London gekommen.«
»Beruf?«
»Sänger!«
»Was? Oper oder Schlager?«
»Keine Ahnung, Sir!«
Cromwell winkte ab. »Was wissen Sie eigentlich? Forschen Sie nach, wo dieser Gilbert Cress aufgetreten ist.«
»Jawohl.«
Shao hatte genau zugehört. Und sie war wie elektrisiert, als sie erfuhr, daß der Tote von den Westindischen Inseln stammte. Dort wurde der Voodoo-Zauber noch gepflegt und auf schaurige Art und Weise hochgehalten.
Bei Voodoo spielten nicht nur lebende Tote eine große Rolle, sondern auch Puppen.
Und eine Puppe hatte diesen Cress umgebracht. Wenn es stimmte, was er kurz vor seinem Tod gesagt hatte.
Shao glaubte, den Beginn eines roten Fadens in der Hand zu halten, und sie wollte ihn auch nicht mehr loslassen.
»Brauchen Sie mich noch?« fragte sie den Oberinspektor.
Cromwell schaute Shao naserümpfend an. »Im Moment nicht. Ihre Personalien habe ich. Halten Sie sich jedoch zu unserer Verfügung, und teilen Sie mir mit, wenn Sie die Stadt verlassen.«
»Das hört sich an, als würden Sie mich verdächtigen.«
»Jeder ist verdächtig.«
»Danke, ich habe verstanden«, erwiderte Shao, machte auf dem Absatz kehrt und ging. Sie kletterte über die Absperrung, steuerte einen breiten Gang an und sah von links den Kaufhausdetektiv Clint Cassidy auf sich zukommen.
»Einen Augenblick, Shao.«
Die Chinesin wollte nicht unhöflich sein und blieb stehen. »Was ist?« fragte sie kühl.
Cassidy wischte sich eine Haarsträhne aus der Stirn. Sein Lächeln war nicht echt.
»Was haben die Polypen gesagt?« wollte er wissen.
»Wüßte nicht, was Sie das anginge«, konterte Shao.
»Schließlich bin ich so etwas wie ein Kollege von denen da.«
»Dann fragen Sie Ihre Kollegen doch.«
»Haben Sie etwas gegen mich?«
»Kaum.«
»Also doch.«
Shao runzelte die Stirn. »Bitte lassen Sie mich gehen, Mr. Cassidy! Ich werde erwartet.«
»Schon gut, schöne Exotin. Eine Tasse Kaffee hätte ich gern mit Ihnen getrunken.«
Shao drehte sich um, musterte den Kerl und zog die Mundwinkel nach unten. »Die hätte Ihnen sicherlich nicht geschmeckt!«
»Haben Sie was gegen Männer.«
»Nein, aber gegen Leute wie Sie!«
Shao ging endgültig. Sie hatte Glück und konnte innerhalb einer Menschentraube noch in den Fahrstuhl huschen.
Die Menschen unterhielten sich nur über ein Thema. Den Mord in der Spielwarenabteilung.
Jeder hatte eine andere Vermutung. Einige sprachen von Terroristen, andere vermuteten ein Ehedrama, und wieder andere meinten, daß die Mafia hinter allem
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