008 - Labyrinth des Todes
trat zur Seite, und dann berührten mich die neun Schlangenköpfe einer Hydra; der schuppige Schwanz stand steil hoch und peitschte mein Gesicht. Ich wollte die Augen schließen, doch so sehr ich mich auch bemühte, es gelang mir nicht; ich mußte die Prozession der Ungeheuer ertragen.
Eine Frau hatte sich in eine Harpyie verwandelt. Sie schlug mit den Flügeln wütend um sich, und der kleine Frauenkopf, der auf dem Vogelleib saß, war eine häßliche Fratze mit rotglühenden Augen. Eine Medusa preßte sich gegen mich, ein winziger Drache stieß eine Feuerwolke aus, ein nur zwanzig Zentimeter langer Basilisk kroch über meinen Körper, ein Feuergeist wollte mich verschlucken, Kobolde, Elfen, Hexen und Zauberer umkreisten mich. Es war eine Versammlung, wie sie noch kein normaler Mensch gesehen hatte. Für mich war es ein weiterer Beweis, daß mein Schicksal besiegelt war.
Sie bewegten sich immer rascher. Von irgendwoher kam seltsame Musik, die unglaublich disharmonisch klang und meinen Körper in Zuckungen versetzte. Mit den Klängen vermischten sich die vielfachen Laute der seltsamen Ungeheuer, die verzückt um mich herumtanzten. Nur Olivaro stand still. Sein Gesicht war unbeweglich. Er ließ mich nicht aus den Augen. Olivaro mußte eine wichtige Persönlichkeit innerhalb der Schwarzen Familie sein, da er sich nicht verwandelt hatte.
Das Feuer über meinem Kopf wurde allmählich schwächer, und die Bewegungen der Monster langsamer, die Musik verstummte, und schließlich war es wieder dunkel. Nach dem Lärm fand ich die Stille noch beängstigender. Unwillkürlich hielt ich den Atem an. Plötzlich hing Schwefelgeruch in der Luft, der immer penetranter wurde. Dann krachte es, und ein heißer Luftstrom strich über meinen Körper. Die Luft geriet in Wallungen, und eine schwarze Gestalt tauchte vor mir auf. Sie trug ein Gewand, das bis zum Boden reichte und ihr ein unförmiges Aussehen verlieh. Über Kopf und Gesicht war eine Kapuze gezogen. Die schwarze Gestalt war in dunkelrotes Licht getaucht, das langsam die Farbe wechselte. Der Maskierte hatte die Arme über der Brust gekreuzt. Wie von einer unsichtbaren Hand wurde die Kapuze hochgezogen, und ich sah den verwaschenen Fleck, der statt eines Gesichtes zu sehen war. Ich wußte, wer vor mir stand: Asmodi, der Fürst der Finsternis, der Mann mit den tausend Gesichtern – das Oberhaupt der Schwarzen Familie.
Kein Laut war zu hören. Asmodi stand bewegungslos vor mir. Langsam bekam der verwaschene Fleck Konturen. Es formte sich die Stirn, dann entstanden die Nase und die Augen. Gleich darauf starrte ich mein eigenes Gesicht an. Die Gesichtsform veränderte sich jedoch sofort wieder, und plötzlich stand Coco vor mir. Dann stierten mich die leeren Augenhöhlen eines Totenschädels an, der sich in eine abscheuliche Teufelsfratze verwandelte. Asmodi konnte in Sekundenschnelle jede beliebige Gestalt annehmen. Er konnte jederzeit die Rolle jedes Menschen auf der Welt spielen.
Die Gesichter wechselten weiter. Viele davon kannte ich. Es waren meine Freunde und Mitarbeiter, Frauen, die ich vor vielen Jahren gekannt hatte. Schließlich hatte Asmodi einen Säuglingskopf auf, der sich langsam veränderte. Es war mein Gesicht. Ich wurde rasch älter. Bald war ich ein zehnjähriger Knabe. Die weichen Linien verschwanden, die Haare wurden dunkler. Ich trug einen schmalen Oberlippenbart, dann einen Vollbart. Die Augen blickten kühler drein, die ersten Falten erschienen. Dann glich das Gesicht meinem jetzigen Aussehen, doch es veränderte sich weiter. Die Falten unter meinen Augen vertieften sich, die Tränensäcke wurde dunkler, die Wangen schmaler, die Haare durchzogen sich mit silbernen Fäden, wurden grau und dann schneeweiß. Die Haut wurde faltig und schlaff, der Bart verschwand, und das Kopfhaar lichtete sich. Ein siebzigjähriger Mann starrte mich an, bittere Linien um Mund und Nase, die Augen schmerzerfüllt. Dann fiel das restliche Haar aus, Käfer und andere Insekten fraßen sich ins Fleisch, und Sekunden später hatte ich einen Totenschädel vor Augen. Innerhalb weniger Augenblicke hatte ich mein Gesicht von der Geburt bis zum Tod gesehen.
»Ich habe deinen Werdegang verfolgt«, sagte Asmodi. Seine Stimme klang wie das Grollen eines Gewitters, sein Gesicht war wieder nur ein konturenloser Fleck. »Anfangs amüsierte es mich. Es war erheiternd, dich im Kampf gegen die Schwarze Familie zu beobachten. Du hattest Mut – und Mut bewundere ich. Es war auch nicht schlecht
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