008 - Labyrinth des Todes
Wagentür und stieg aus. Die Sonne stand hoch am Himmel, und es war unerträglich heiß.
»Kommen Sie, Lundsdale!« drängte ich, doch er wollte nicht aussteigen.
»Ich warte hier auf Sie«, sagte er. »Ich will nicht mitkommen. Ich kann es einfach nicht ertragen, auf einen Friedhof zu gehen.«
Es blieb mir nichts anderes übrig, als ihn mit Gewalt aus dem Wagen zu ziehen. Sein Hemd und die Jacke trieften vor Schweiß, sein Gesicht war bleich. Ich faßte seinen rechten Arm und zog ihn hinter mir her. Wir kamen an einigen Läden vorbei, in denen alte Chinesen Blumen, Kerzen und Kränze verkauften. Unweit der Friedhofsmauer befanden sich einige Bestattungsunternehmen, darunter auch jenes, das die Beerdigung von Coco durchgeführt hatte.
»Ich kann nicht, Hunter«, keuchte Lundsdale. »So verstehen Sie doch! Ich habe eine panische Angst vor Friedhöfen. Schon seit meiner Kindheit. Sie dürfen mich nicht …«
»Sie kommen mit«, sagte ich hart, »und wenn ich Sie fesseln muß.«
Er ließ die Schultern hängen. Ich ließ seinen Arm nicht los, und gemeinsam durchschritten wir das hohe schmiedeeiserne Tor, das weit offenstand. Links lagen die Einsegnungshallen, und rechts erstreckte sich der Friedhof einen sanften Hügel hinauf. Land war so ziemlich das kostbarste in Hongkong, und ein Grab auf diesem Friedhof mußte ein kleines Vermögen kosten. Soweit ich unterrichtet war, wurden hier nur Weiße bestattet. Die einheimische Bevölkerung hatte andere Friedhöfe, die außerhalb der Stadt lagen.
Lundsdales Körper wurde steif. Er blieb stehen, und seine Hand verkrallte sich in meinen Unterarm.
»Ich flehe … Sie an … Hunter!« stammelte er. »Lassen Sie … mich zurück!«
Ich warf ihm einen Blick zu. Er simulierte nicht. Sein Gesicht war verzerrt, und dicke Schweißtropfen perlten über seine Stirn. Doch ich gab nicht nach. Ich ging zum Pförtnerhaus und zerrte ihn einfach mit. Ein in Schwarz gekleideter kleiner Chinese öffnete die Tür und trat heraus. Sein Gesicht war eine gelbe Maske, unbeweglich, nur die Augen funkelten uns an.
»Womit kann ich Ihnen dienen, Sir?« fragte er in einwandfreiem Englisch.
»Wir suchen das Grab von Coco Zamis«, sagte ich.
Er nickte. »Gehen Sie immer geradeaus und biegen Sie in den zwölften Weg ein! Das vierte Grab.« Er verbeugte sich, und ich dankte.
»Ich tue alles, was Sie wollen, Hunter«, keuchte Lundsdale. »Aber lassen Sie mich zurück!«
Ich dachte nicht daran. Ich wollte seine panische Angst ausnützen. Vielleicht würde er mir vor Cocos Grab einiges verraten, was er möglicherweise verschwiegen hatte.
»Sie sollten mal zu einem Arzt gehen«, sagte ich kühl. »Ihre Angst vor Friedhöfen ist nicht normal.«
Als wir die ersten Gräber erreicht hatten, ging eine Veränderung mit ihm vor. Seine Verkrampftheit löste sich. Er schritt wie eine aufgezogene Puppe neben mir her. Ich blickte mich flüchtig um. Einige der Gräber waren über zweihundert Jahre alt, die Grabsteine verwittert und unansehnlich. Ich ließ Lundsdales Hand los und ging einen Schritt vor. Er folgte mir wie ein Schoßhündchen. Sein Ausdruck wirkte gelöst, die Augen hatte er halb geschlossen. Er atmete ruhig.
»Sehen Sie, Lundsdale«, sagte ich, »auf einmal geht es.«
Er gab mir keine Antwort. Ich gewann den Eindruck, daß er nicht mehr Herr seiner Sinne war. Auch wenn ich stehenblieb, ging er ruhig weiter. Seine Schritte wurden immer größer, immer rascher. Schließlich hatte ich fast Mühe, ihm zu folgen. Als er die zwölfte Reihe erreichte, bog er nach links ab. Seine Schritte wurden wieder langsamer, seine Gestalt straffte sich.
Der Pförtner hatte recht gehabt. Cocos Grab war das vierte in der Reihe. Der Grabhügel war noch nicht eingefaßt. Einige verdorrte Kränze und Buketts lagen auf dem Hügel. Auf einem einfachen Grabstein von etwa einem Meter Höhe stand in Goldbuchstaben: Coco Zamis. Kein Geburts- oder Sterbedatum.
Lundsdale hatte das Grab erreicht, doch er blieb nicht stehen; er ging weiter, verharrte vor dem Grab daneben und starrte den Grabstein an, der die gleiche Form und Farbe wie der Cocos hatte, auf dem aber keine Inschrift stand. Ich kam näher und blieb neben Lundsdale stehen. Er hatte die Augen geschlossen, und seine Lippen bebten. Ich legte meine Hand auf seine Schulter und wollte ihn vom Grab wegzerren, doch er wehrte sich und starrte weiterhin den leeren Grabstein an. Plötzlich war ein Flimmern in der Luft. Überrascht trat ich einen Schritt näher, sah die
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