008 - Labyrinth des Todes
drein.
»Nichts.«
»Ich will fort von hier«, sagte er mit versagender Stimme. »Ich halte es nicht mehr aus.« Bevor ich ihn noch packen konnte, fing er zu laufen an. Sein Tempo steigerte sich, je näher er dem Ausgang kam. Er rannte, als wären sämtliche Teufel und Dämonen der Welt hinter ihm her. Einige Leute warfen uns verwunderte Blicke zu, doch ich achtete nicht darauf.
Als Lundsdale den Friedhof hinter sich gelassen hatte, ging er allmählich langsamer und blieb schließlich erschöpft stehen. Er lehnte sich gegen eine Hausmauer und keuchte. Kaum hatte ich ihn erreicht, sackte er zusammen. Ich konnte ihn im letzten Augenblick auffangen, hob ihn hoch, trug ihn die wenigen Schritte zu seinem Wagen und hob ihn auf den Beifahrersitz. Er war in eine tiefe Ohnmacht gefallen. Ich klemmte mich hinters Steuer, schlug die Wagentüren zu und kurbelte die Fenster herunter. Dann steckte ich mir eine Zigarette an und rauchte hastig, ohne Lundsdale dabei aus den Augen zu lassen. Sein Atem kam röchelnd, doch er bewegte sich, bevor ich die Zigarette zu Ende geraucht hatte. Er schlug die Augen auf, sah sich um und schüttelte verständnislos den Kopf.
»Wo sind wir?« fragte er.
»Können Sie sich nicht erinnern? Wir haben Cocos Grab besucht.«
»Nein«, sagte er, »daran kann ich mich nicht erinnern. Sie waren bei mir, und dann fuhren wir los. Da setzt meine Erinnerung aus.«
Ich nickte, startete und fuhr langsam an. Die Schwarze Familie spielte mit mir. Ich biß grimmig die Zähne zusammen. Schweigend reihte ich mich in den Verkehr ein und brachte Lundsdale in seine Wohnung. Ich mußte ihn stützen, so schwach war er. Er hatte nichts dagegen, daß ich seinen Wagen vorerst behielt.
Mein Abendprogramm stand fest. Ich würde nochmals zum Friedhof zurückkehren. Dazu war es aber notwendig, daß ich vorher dem Straßenmarkt vor dem Macao Ferry Pier einen Besuch abstattete.
Es war kurz nach fünfzehn Uhr, als ich mein Hotel erreichte. Ich zog die Jalousien herunter, legte mich ins Bett. Vorher rief ich an der Rezeption an und bat darum, mich um zwanzig Uhr zu wecken. Mehr als eine halbe Stunde wälzte ich mich ruhelos im Bett hin und her, bevor ich schließlich in tiefen Schlaf fiel. Das Schrillen des Telefons weckte mich. Ich hob den Hörer ab, meldete mich, legte wieder auf, wälzte mich auf den Rücken und blieb einige Minuten in der Dunkelheit liegen, bevor ich schließlich aufstand.
Kurz nach halb zehn stellte ich Lundsdales Volkswagen in der Connaught Road Central ab. Im Hotel hatte ich mit wenig Appetit ein schnelles Abendbrot eingenommen. Dabei hatte ich mich nur auf drei der üblichen zwölf Gänge beschränkt, was den Kellner fast in Tränen hatte ausbrechen lassen. Aber ich hatte ganz einfach nicht die Zeit und Ruhe gehabt, um zwölf Gänge zu kosten.
Ich sperrte den Wagen ab, schlüpfte in die Jacke und blickte mich aufmerksam um. Mein Ziel war der Poor Man's Nightclub , wie der Straßenmarkt vor dem Macao Ferry Pier genannt wurde. Der Lärm war ohrenbetäubend; unzählige blinde Straßenmusikanten und Sänger verursachten ein Heidenspektakel. Hier gab es Händler, die bereit waren, mit allem zu handeln und alles zu verkaufen, was die Touristen wollten. Ich drängte mich zwischen den Wahrsagern, Würfelspielern und Straßenhändlern hindurch. Eben legte ein Fährboot an und spuckte eine Ladung Touristen aus, die von Macao zurückkehrten. Das Boot schwankte leicht. Es lag zwischen Frachtschiffen und Dschunken.
Man mußte sich erst an die Menschenmassen gewöhnen. Wenn man das erste Mal nach Hongkong kommt, ist alles verwirrend; zu überreich strömen die Eindrücke auf einen ein; man kann sie nicht verarbeiten.
Trotz der späten Stunde löschten Kulis, die barfuß waren und den Oberkörper nackt hatten, die Dschunken. Sampans lagen zwischen den Dschunken vertäut und schaukelten in den von vorbeirasenden Schnellbooten aufgewühlten Wellen. Ich sog den Lärm und die Atmosphäre in mich auf. Für einige Momente vergaß ich den Grund meines Besuches. Ich lehnte mich gegen eine Verkaufsbude und blickte mich um. Überall auf der Welt fand man die gleichen Ganoven. Hier waren sie in ihrem Element, die kleinen Taschendiebe und Straßenräuber. Es dauerte nicht lange, und ich hatte drei Taschendiebe entdeckt, die nicht besonders geschickt vorgingen. Einer konnte kaum fünfzehn sein; ein kleiner, schmalschultriger Chinesenjunge mit kurzgeschnittenem Haar. Ich folgte ihm unauffällig. Sein nächstes Opfer war ein
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