0080 - Zanos, des Teufels rechte Hand
Gefühl, innerlich immer mehr auszutrocknen. Eine sengende Hitze umgab ihn und machte ihn schwach. Das Wasser lockte ihn. Vielleicht war es wirklich genießbares Trinkwasser. Aber wo war dann der Haken?
Es mußte einen Haken geben.
»Spring!« schrie Al-Sangra mit schneidender Stimme. »Spring doch endlich, du elender Feigling! Es ist gutes, kühles Wasser. Willst du verdursten?«
Der Brite lechzte nach dem kühlen, klaren Naß. Gleichzeitig aber hatte er auch eine panische Angst davor.
»Spring! Spring! Spring!« gellten die Rufe des Trabantenführers durch den Säulenraum. Die Schreie machten den Briten vollkommen konfus. Um ihn herum begann sich alles zu drehen. Er war nahe daran, das Gleichgewicht zu verlieren, und als er sich nun weit nach vorn beugte, erblickte er mindestens acht riesige Krokodile, die mit lauernden Blicken auf den Moment warteten, wo er ihnen vor die gierigen Mäuler fiel.
Beim Anblick dieser hungrigen Bestien wurde dem Briten die Luft knapp.
»Spring!« kreischte Al-Sangra. »Es ist Wasser, gutes, frisches Wasser!«
Reglos lagen die Schuppenbestien dort unten.
Will O'Hara schüttelte bestürzt den Kopf. »Nein! Nein! Da springe ich nicht freiwillig hinunter!«
»Dann werden wir eben nachhelfen!« schrie der Trabantenführer mit gnadenloser Härte. Im selben Moment legte sich eine eiskalte Hand auf O'Haras Nacken. Der Brite schaute sich entsetzt um. Niemand war da. Es war die Macht Al-Sangras, die sich in seinem Nacken manifestiert hatte. Eine eiskalte Klaue war es. Sie packte so fest zu, daß sich O'Hara nicht mehr davon losreißen konnte. Sie drückte ihn auf die gähnende Öffnung zu.
Und dann…
Ein Stoß. Einen kurzen Moment hatte Will O'Hara das Gefühl, in der Luft hängengeblieben zu sein. Unter ihm rissen die riesigen Krokodile ihre gefräßigen Mäuler auf. Er sauste genau in ihre Mitte, tauchte in das kalte Wasser ein, und als er brüllend hochkam, schnappten die Mäuler schon zu…
***
Zu Hause in Darmstadt nannten sie ihn einen Taugenichts. Auch seine Eltern schlossen sich dieser Meinung rückhaltslos an. Herbert Schwarz sah sich selbst jedoch mit anderen Augen. Er war von einem unbändigen Freiheitsdrang beseelt, und er litt immerzu unter Fernweh. Deshalb hielt er es auch in keiner Firma lange aus. Hin und wieder hatte es ihn so plötzlich gepackt, daß er über Nacht per Autostop Deutschland verlassen hatte. Irgendwann, oft einen Monat später, hatte er dann eine Ansichtskarte nach Hause geschickt, damit seine Eltern aufhörten, sich Sorgen um ihn zu machen.
So nach und nach hatte sich der zweiundzwanzigjährige blonde, schmalbrüstige Junge zu einem ruhelosen Weltenbummler entwickelt.
Kuba, Südamerika, Afrika, Madagaskar, Australien… Herbert hatte alles schon gesehen. Wenn er Geld brauchte, verrichtete er sogar die ärgste Drecksarbeit, doch nur solange, bis er beisammen hatte, was er haben mußte. Dann schmiß er den Krempel wieder hin und zog einen Ast weiter.
In Bombay lernte Herbert Irene Mass aus Hamburg kennen. Sie trampte genau wie er durch die Welt. Reichlich ungewöhnlich für ein Mädchen, aber sie scherte sich wenig darum, was die Leute von ihr hielten und über sie sprachen. Schon nach wenigen Tagen waren Irene und Herbert ein Herz und eine Seele. Das Mädchen hatte vieles von dem, was Herbert gesehen hatte, ebenfalls gesehen. Sie stellten innerhalb kurzer Zeit fest, daß sie sehr viel gemeinsame Interessen hatten, und so blieb der Vorschlag - er kam von Herbert - nicht aus, sie könnten doch eine Zeitlang gemeinsam weitertrampen.
Irene, blauäugig, gut gewachsen, einundzwanzig Jahre alt und rothaarig, hatte gegen diesen Vorschlag nichts einzuwenden. Sie verließen Bombay und tauchten einen Monat später in Colombo, der Hauptstadt von Ceylon, auf. Hier sahen die beiden erst mal zu, wieder zu Geld zu kommen. Herbert gelang es, einem Geldwechsler in einer finsteren Straße sämtliche Devisen abzunehmen, die dieser bei sich trug. Er bedrohte den Mann mit seinem Springmesser, und er war an diesem Abend so hungrig gewesen, daß er den Burschen vermutlich geschlitzt hätte, wenn dieser sich nicht freiwillig von seinem Geld getrennt hätte. Inzwischen hatte Irene sich als Taschendiebin versucht. Gegen Mitternacht fanden sich die beiden am verabredeten Treffpunkt ein.
»Na, wie ist's bei dir gelaufen?« erkundigte sich Herbert.
Irene holte eine prall gefüllte Brieftasche hervor. Herbert zählte das Geld und zeigte seiner Gefährtin dann seine Beute.
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