0081 - Der Sensenmann als Hochzeitsgast
ihr verheiratet.
Die Zeit verrann. Für mich war sie manchmal ein Zug, der immer schneller fuhr, von dem man aber nicht abspringen konnte. Solche Gedanken kommen einem wohl automatisch, wenn man nachdenkt. Hinter dem frisch vermählten Ehepaar verließen Jane Collins und ich die Kirche.
Tageslicht fiel von rechts an den Säulen vorbei und traf uns. Wir befanden uns wieder innerhalb des Arkadengangs mit der gewölbten Decke. Ziemlich hoch schwebte sie über unseren Köpfen.
Der Wind fuhr durch die Zwischenräume und strich über Janes Schultern. Trotz der Stola fror sie.
»Warum ist es auf einmal so kalt?« flüsterte die Privatdetektivin.
Ich nickte. Auch ich hatte die Kühle gespürt, jedoch nicht weiter darauf geachtet.
Ich hätte mich lieber mehr damit beschäftigen sollen.
So aber schritten wir weiter. Meter für Meter legten wir zurück und näherten uns einem grausamen Schicksal.
Nichts warnte uns, nichts deutete die Gefahr an, aber plötzlich war sie da.
Ich sah noch die huschende Bewegung über uns, schrie eine Warnung, aber es war schon zu spät.
Von oben kam ein Skelett. Es flog auf uns zu und hielt eine Sense in den Händen.
Schreie, Panik.
Und die nächsten Sekunden liefen vor meinen Augen wie ein grausamer Zeitlupenfilm ab, in dem mein Erzfeind, der Schwarze Tod, die Hauptrolle spielte…
***
Erich Gehrmann, der Wirt, traute seinen Augen nicht. Plötzlich stand ein Bus vor seinem Gasthof.
Er hatte ihn nicht kommen hören, kein Motorengebrumm vernommen – nichts. Es schien, als wäre der Bus direkt vom Himmel gefallen.
Dabei ahnte Gehrmann nicht, wie nahe er mit seiner Vermutung der Wahrheit kam.
Er rief seine Frau. »Gisela! Komm doch mal her. Schnell.«
»Ja doch.«
Frau Gehrmann tauchte im Türrahmen auf und blieb abrupt stehen.
»Wo kommt denn der Bus her?« sagte sie.
»Das wollte ich ja von dir wissen«, erwiderte der Wirt. »Ich weiß nichts.«
»Das verstehe, wer will«, murmelte Gehrmann und schritt auf das Gefährt zu.
Bis auf den Bus war der Hof leer. Die Kegelbrüder hatten eine Wanderung unternommen, die Hochzeitsgäste befanden sich noch in der Kirche, und das Personal arbeitete im Haus.
Es war die berühmte Ruhe vor dem Sturm.
Die Sonnenstrahlen fielen schräg auf den Platz und trafen die Scheiben des Busses. Sie blendeten so sehr, daß der Wirt erst etwas erkennen konnte, als er näher herankam.
Erich Gehrmann sah die Kinder.
Und die beiden Lehrerinnen.
Er wunderte sich sehr, daß niemand ausstieg, und trat bis dicht an die Fahrertür.
Die Insassen waren von ihren Sitzen hochgesprungen und gestikulierten mit den Händen. Diesen Gesten entnahm der Wirt, daß er verschwinden sollte. Er sah auch die angsterfüllten Gesichter, aber einen Reim konnte er sich immer noch nicht darauf machen. Warum stieg niemand aus?
Vor der Tür blieb er stehen und reckte sich auf die Zehenspitzen. »He, warum steigt ihr nicht aus?« rief er. »Los, es wird Zeit. Die Hochzeit hat schon begonnen.«
Kopfschütteln. Hastige Gesten. Weg, weg, sollten sie bedeuten. Erich Gehrmann verstand nichts.
Seine Frau jedoch ahnte etwas. »Erich, bitte, komm zurück!«
»Ach, Unsinn.«
Der Wirt streckte seine Hand aus und legte sie auf den Türgriff. Da geschah es.
Plötzlich hatte Erich Gehrmann das Gefühl, von einem elektrischen Schlag getroffen zu werden. Er spürte den Schmerz, der explosionsartig durch seinen Körper raste und ihn regelrecht durchschüttelte.
Gehrmann schrie.
Instinktiv riß er die Hand zurück, wankte nach hinten und stand kurz vor dem Zusammenbruch. Wie tot hing sein rechter Arm am Körper herab. Er konnte ihn nicht mehr bewegen, biß die Zähne zusammen, versuchte es, doch ohne Erfolg.
Erich Gehrmann schaffte es nicht, seinen Arm zu heben.
Seine Frau hatte alles mit ansehen müssen. Sie war geschockt, riß die Hände vor ihr Gesicht und schaute durch die gespreizten Finger auf ihren Mann.
Beide konnten nicht wissen, daß der Schwarze Tod die Falle gestellt hatte. Der Bus war durch eine magische Sperre verriegelt worden, denn der Dämon hatte mit ihm noch etwas vor.
Erich Gehrmann war als erster in die Falle getappt.
Sein Blick glitt nach rechts. Er sah seinen eigenen Arm, und plötzlich weiteten sich seine Augen in unvorstellbarem Schrecken. Der Arm veränderte sich.
Er verfaulte!
An den Fingern fing es an. Die Haut zog sich zusammen, die Nägel bröckelten ab, und die Finger verdorrten. Aus ihnen wurden dunkelbraune Stümpfe. Es sah so aus, als würde dem
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