0081 - Der Sensenmann als Hochzeitsgast
Mittelgang zog. »Das darfst du nie mehr tun, hörst du?« wandte sie sich an Dirk, blieb stehen und ging dabei in die Knie.
Das Kind nickte. Plötzlich schimmerten Tränen in seinen Augen. Jutta drückte Dirk an sich.
Die anderen Schüler und Schülerinnen standen um die beiden herum. Dann setzten sich wieder alle auf ihre Plätze. Die Stimmung wurde gedrückter. Selbst die Kinder empfanden diese Fahrt nun nicht mehr als Abenteuer, sondern als eine Strapaze. Nach wie vor umschwebte der Schwarze Tod den Bus. Er blieb jetzt nicht mehr auf einer Seite. Wer dem Fenster zu nahe kam, dem drohte er mit seiner Sense.
Die Lehrerinnen wurden nervöser. Vor allen Dingen Elfriede Kirst. Sie hatte den Schwarzen Tod jetzt mehrere Male von nahem gesehen und war so erschrocken, daß sie wieder Herztropfen nehmen mußte.
Jutta flößte ihr die Medizin ein.
Und noch immer warteten sie.
Doch plötzlich setzte sich der Bus in Bewegung. Dies geschah von einem Augenblick zum anderen und praktisch ohne Übergang. Der Reisebus fiel nach unten, so daß die Insassen das Gefühl hatten, in einem Fahrstuhl zu sitzen.
Unwillkürlich klammerten sie sich fest, aber aufhalten oder steuern konnten sie das Gefährt sowieso nicht.
Wann hatte die Fahrt ein Ende?
Obwohl sie durch die Fenster schauten, erkannten sie nichts. Der Nebel verdeckte alles.
Der Bus setzte auf.
Wieder rechnete niemand damit. Unter dem Boden knirschte etwas, das Fahrzeug federte noch nach, dann stand es still. Niemand wagte zu sprechen. Ängstlich schauten sich die Insassen in die Augen.
Langsam verschwand der Nebel. Er löste sich auf, als würde jemand mit einem unsichtbaren Quirl darin herumrühren. Die Sicht wurde frei.
Kinder und Lehrerinnen schauten nach draußen. Jeder von ihnen sah das gleiche.
Sie waren vor einem Gasthaus gelandet.
Jutta Mehnert konnte auch den Namen lesen: Schloß-Eck!
***
Die Kapelle lag neben dem Westflügel des Schlosses. Sie war ebenso alt wie das Gebäude selbst. Ein schmaler Weg führte zu einem Arkadengang hoch, dessen Decke von runden Bögen gestützt wurde.
Dicke Säulen bildeten die seitliche Begrenzung. Durch die Zwischenräume fiel der Blick auf die Mauern der alten Burg.
Die Kutsche fuhr auf den Hof. Wir hatten uns in mehrere Wagen verteilt. Wills Arbeitskollegen hatten für die fahrbaren Untersätze gesorgt. Im Schloßhof gab es Parkraum genug.
Das Brautpaar ließ uns erst aussteigen, bevor es selbst die Kutsche verließ.
Hier oben merkte man den Wind. Er fuhr durch die Kronen der Platanen und schüttelte Blätter zu Boden. Sie segelten wie riesige Schneeflocken auf den Grund des Hofes.
Orgelmusik drang aus der offenstehenden Kirchentür. Das Portal war mit zahlreichen Motiven aus der christlichen Lehre verziert, und der Priester wartete davor.
Er war ein älterer Mann mit einem weißen Haarkranz, gütigen Augen und einem fröhlichen Lächeln auf den Lippen.
Will und Karin schritten auf ihn zu.
Der Pfarrer begrüßte beide mit einem herzlichen Händedruck. Wir nahmen inzwischen Aufstellung.
Direkt hinter dem Brautpaar schritten Jane und ich. Bill folgte mit Sheila, dann kamen Shao und Suko. Den Schluß bildeten Wills Arbeitskollegen.
Von Karin Beckers Seite war niemand erschienen. Ich hatte eigentlich damit gerechnet, daß der Bus mit den Kindern hier oben warten würde, aber das war nicht der Fall.
Hoffentlich war ihnen nichts geschehen.
An die Wahrheit dachte ich nicht im Traum.
Wir betraten die Kirche.
Unsere Schritte waren gemessen, wie es den Anforderungen dieser einmaligen Stunde entsprach.
Als Karin Becker und Will Mallmann die Kirche betreten hatten, wechselte der Organist sein Spiel.
Plötzlich drangen Wagnerklänge in unsere Ohren.
»Treulich geführt, ziehet dahin…«
Es war wirklich ein feierlicher Augenblick, eine Hochzeit wie aus dem Bilderbuch.
Jane hatte sich bei mir eingehakt. Ich spürte ihre Hand auf der meinen und merkte, daß ein Schauer ihre Haut überzog.
Ein wenig mußte ich lächeln. Jane Collins, eine Privatdetektivin, mit allen Wassern gewaschen, hatte Tränen in den Augen, als sie diese Musik hörte und an den Augenblick der Trauung dachte. Wir schritten vor bis zum Altar.
Er war prächtig anzusehen. Meiner Schätzung nach mußte er aus dem späten Mittelalter stammen. Er bestand aus drei Teilen. Die beiden äußeren bogen sich leicht nach innen.
Der Mittelteil wurde von einer vergoldeten Christusfigur beherrscht, die im Licht der Kerzen funkelte und gleißte. Blumen
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