0084 - Das Buch der grausamen Träume
kannte seine Schwachstellen nicht. Vielleicht enthüllte das Buch dieses Rätsel. Wir würden sehen.
Ich fuhr weiter. Im Schrittempo schaukelte der Bentley über den schmalen Weg. Die Reifen wühlten sich durch wassergefüllte Furchen und schleuderten Dreck und Schlamm hoch. Mal tickte ein Stein gegen die Karosserie, mal prallte etwas unter das Bodenblech.
Leider waren wir erst während der Dunkelheit in dieser Gegend eingetroffen. Der Sumpf präsentierte sich als graues Meer, das ruhig und still lauerte, jedoch zum Ungeheuer werden konnte, wenn jemand in seine Nähe gelangte.
Ich starrte durch die Frontscheibe, war immer auf der Suche nach einem Licht oder einem hellen Fleck, der die Nähe des Dorfes ankündete. Nichts, nur alles schwarz in grau. Eine verfluchte Gegend. Trostlos, einsam, unheimlich. Man hatte das Gefühl, daß rechts und links des schmalen Weges das Grauen im verborgenen lauerte. »Weit kann es nicht mehr sein«, sagte Suko und rieb sich über die Wangen. Auch er war ziemlich müde. Schließlich lag eine stundenlange Fahrt hinter uns. Ich bremste.
Suko war nicht darauf vorbereitet und wurde im Gurt ein Stück nach vorn geschleudert. »Was ist denn jetzt?« Vor uns schien der Weg zu Ende zu sein. Ich stellte das Fernlicht an, sah etwas glänzen und erkannte, daß es Bohlen waren, die quer über dem Pfad lagen. »Riskieren wir es?«
Ich nickte meinem Partner zu. »Wir müssen.« Vorsichtig gab ich Gas. Die Reifen wühlten sich frei, und im nächsten Augenblick befanden sich bereits die Vorderräder auf den Holzbohlen.
Behutsam fuhr ich weiter. Ich merkte, daß die Bohlen schwankten. Wenn wir jetzt wegrutschten, sah es bitter aus. Der Steg war nur wenig breiter als unser Wagen.
Es war wirklich ein gefährliches Unternehmen, aber wir brachten es hinter uns.
Ohne daß eine der Bohlen wegsackte, konnten wir auf dem Pfad weiterfahren.
»Wer sagt’s denn«, meinte Suko. Er rieb sich die Hände. Der Chinese freute sich zu früh. Die nächste Überraschung wartete bereits auf uns. Wie ein Geist tauchte der Mann im Scheinwerferlicht auf. Er mußte von der Seite her gekommen sein, auf jeden Fall stand er mitten auf dem Weg und winkte.
Es war eine unheimliche Gestalt. Der Dunst umfloß ihn mit seinen langen Schleiern und verzerrte die Perspektive. Ich stoppte.
»Der will was von uns«, bemerkte Suko.
Der Mann kam auf unseren Bentley zu. Er ging schwerfällig, so, als hätte er eine schwere Last zu tragen. Die Schultern waren nach vorn gedruckt. Sein graues Haar hing ihm strähnig in die Stirn. Ich sah in ein eckiges Gesicht mit hervorstehenden Wangenknochen und einem grimmig verzogenen Mund. »Der ist nicht gerade unser Freund«, kommentierte Suko. Ich gab ihm recht.
Der Mann näherte sich der Fahrertür. Er war so nervös, daß er gegen die Scheibe klopfte. Wahrscheinlich wußte er nicht, wo sich der Türgriff befand.
Ich löste meinen Gurt und öffnete die Tür.
Fauliger Geruch schlug mir entgegen. Den brachte das Moor mit sich. Gleichzeitig aber drang ein penetranter Schweißgestank in meine Nase, und ich hielt unwillkürlich den Atem an. Dieser Kerl hätte sich wirklich mal waschen können. »Guten Abend!« grüßte ich höflich. Der Knochige grunzte nur.
Ich stieg aus. Als ich vor ihm stand, sah ich, daß der Bursche noch einen halben Kopf größer war als ich. Und ich bin wirklich nicht klein. Der Mann schaute mich an, als wollte er mich töten. Ich blieb freundlich. »Können Sie mir sagen, wie weit es noch bis Horlin ist?«
Er starrte mich nur an, sagte aber nichts. Fast körperlich spürte ich die Ablehnung, die er mir entgegenbrachte. Dieser Mann wollte sich nicht mit uns unterhalten, er betrachtete uns als seine Feinde. Trotzdem wiederholte ich meine Frage. »Hauen Sie ab!« knurrte er.
Auf der anderen Seite stieg Suko aus. Er spürte auch, daß etwas nicht stimmte. Abwartend blieb er neben der Tür stehen.
»Ich will Ihnen mal etwas sagen, mein Lieber«, sprach ich den Mann an. »Wir kommen aus London, haben also eine verflixt weite Fahrt hinter uns. Unser Ziel ist Horlin. Wir hätten es gern im Hellen erreicht, doch der starke Verkehr hat uns einen Strich durch die Rechnung gemacht. Und nun seien Sie so gut, und erklären Sie uns den Weg.«
Er schaute mich an. Da wir uns dicht gegenüberstanden, sah ich seine dunklen, fast schwarzen Augen. Auch die scharfen Falten, die sich von der Nase bis hin zu den Mundwinkeln zogen. Der Mann trug eine alte Jacke und eine ausgebeulte Hose,
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