0087 - Die Schläfer der ISC
reptilienhaft.
„Nehmen Sie bitte Platz", sagte Curteen und wühlte abwesend in einigen Akten auf seinem Arbeitsplatz.
„Ah, hier!" rief er schließlich befriedigt.
Dunbee beobachtete ihn mit zunehmender Nervosität.
„Sie sind nun bereits über zehn Jahre bei unserer Firma, Mr. Dunbee", begann Curteen freundlich. „Sie haben immer zu unserer vollsten Zufriedenheit gearbeitet. Wir hatten nie Schwierigkeiten mit Ihnen."
Dunbee schluckte und nickte. Er bewunderte im stillen die Redegewandtheit Curteens.
„Wir sind für Ihre Tätigkeit sehr dankbar", behauptete Curteen. „Wir hoffen natürlich, daß Sie Ihren Arbeitsplatz noch lange innehaben werden."
Dunbee rieb sich nervös die Hände. Vorsichtig warf er ein: „Mr. Vadelange ist in der vergangenen Woche aus unserer Firma ausgeschieden, Mr. Curteen. Er war der Leiter der Werbeabteilung. Ich ... es ist bisher immer so gewesen, daß der Dienstälteste einer Abteilung zu ihrem Leiter bestimmt wird, wenn der bisherige Chef austritt."
Curteen sah ihn über den Tisch hinweg an. Es war ein seltsamer Ausdruck in seinen Augen, ein sanfter Glanz, der sofort wieder erlosch.
Dann war da nur noch Curteens verbindliche Stimme.
„Sehr richtig, Mr. Dunbee. In diesem Falle wären Sie der Nachfolger von Mr. Vadelange." Er zögerte einen Augenblick. „Glauben Sie mir, es ist uns unmöglich, zur Zeit Ersatz für Sie und Ihre Arbeit zu finden. Wir müssen Sie bitten, an Ihrem jetzigen Posten zu bleiben. Mr. Priest wird Vadelange vertreten, bis wir einen geeigneten Mann für Ihre Arbeit gefunden haben."
„Ich verstehe", murmelte Dunbee tonlos. „Priest wird es sein!"
Curteen stand auf und kam um den Tisch herum, um Dunbee auf die Schulter zu klopfen.
„Natürlich werden wir Sie sofort in die Gehaltsklasse eines Abteilungsleiters einstufen", kündigte er an.
„Natürlich", echote Dunbee. „Ich wußte, daß wir mit Ihrem Verständnis für die Situation unserer Werbeabteilung rechnen durften", sagte Curteen lächelnd.
Dunbee erhob sich langsam. Mit unsicherer Stimme sagte er: „Ich kündige!"
Noch am gleichen Tag schrieb er an die Intertime Sleeping Corporation und stellte einen Antrag zur Einschläferung auf 300 Jahre.
Die ISC war vor einem knappen Jahr von dem Geschäftsmann Owen Cavanaugh gegründet worden. Allgemein wurde sie als „Schlafgesellschaft" bezeichnet. Cavanaugh, der sich als „Retter der vom Leben Enttäuschten" propagierte, hatte mit Hilfe mehrerer Wissenschaftler eine neue Tiefschlafmethode erfunden. Mit Genehmigung des Innenministeriums erwarb Cavanaugh in der Nähe des Yellowstone-Nationalparks in Wyoming eine Landfläche mit mehreren riesigen, vor Jahrtausenden durch Vulkantätigkeit entstandenen Höhlen. Nichts schien besser geeignet für einen ungestörten Bioschlaf als dieser Ort. In kürzester Frist ließ Cavanaugh die Naturhöhlen für seine Zwecke herrichten. Gewaltige Behälter wurden errichtet, die jenes Zellplasma aufnahmen, in dem später Cavanaughs „Kunden" einer besseren Zukunft entgegenschlafen sollten. In einem Werbefeldzug ohnegleichen gewann Cavanaugh Anhänger für seine Idee. Warum sollte sich ein erfolgloser Mensch nicht für einige Jahre in Tiefschlaf versetzen lassen, um in einer schöneren Zukunft mit neuer Energie erstaunliche Taten zu vollbringen?
Der Staat sah keinen Grund zum Eingreifen, denn Cavanaugh hielt sich streng an die medizinischen Vorschriften. Die ISC hielt jeder Überprüfung durch Beamte des Innenministeriums stand. Die Presse tat ihr übriges, um die Idee des Geschäftsmannes populär zu machen. Am Tage der Eröffnung der Schlafhöhlen warteten bereits mehrere hundert Menschen auf ihre Aufnahme.
Owen Cavanaugh, ein kleiner, untersetzter Mann, den man ständig mit einer fossilen Sonnenblende und hochgekrempelten Ärmeln in den Bildern der Illustrierten zu sehen bekam, schien auf dem besten Wege zu sein, mit der Lebensüberdrüssigkeit einiger seiner Mitmenschen ein gutes Geschäft zu machen.
Dunbee erinnerte sich an ein Interview, das Cavanaugh einem Reporter des Fernsehens gewährt hatte. Auf die Frage des Journalisten, wie sich Cavanaugh zu seinen Kritikern äußere, sagte der Mann gelassen: „Ich weiß nicht, warum man meine Idee kritisiert. Ich biete unglücklichen Menschen eine glückliche Zukunft. Was soll daran schlecht sein?"
Dunbee war ein unglücklicher Mensch. Die Ehe mit seiner Frau Jeanne war kinderlos geblieben. Mit 48 Jahren hatte er in seinem Beruf keine großen Erfolge mehr zu
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