009 - Der Engel von Inveraray
teilte mir mit, dass er mich und Emmaline jahrelang verachtet hätte und ich nun mit dem Wissen leben müsse, dass sie ihm gehöre und er mit ihr tun und lassen könne, was er wolle. Ich habe lange mit ihm gestritten, ihm sogar Geld für sie angeboten. Vincent hat nur gelacht. Er machte sich nichts aus Geld. Alles, was er wollte, war Rache. Er wollte mich dafür bestrafen, dass ich seine Frau verführt und ein Kind gezeugt hatte, das er fünf Jahre lang für sein eigenes gehalten hatte. Er wollte, dass ich unter der Vorstellung litt, dass meine Tochter unter seinem Dach zu einem Leben voller Leid verurteilt war und ich nichts dagegen tun konnte. Schließlich begriff ich, dass ich in der Tat hilflos war. Ich besaß Vermögen und einen Adelstitel, doch keinen gesetzlichen Anspruch auf meine eigene Tochter. Es gab keinen Weg, um zu beweisen, dass sie tatsächlich mein Fleisch und Blut war. Ich kam zu dem Schluss, dass ich die Dinge nur noch schlimmer für Emmaline machen würde, wenn ich Vincent verärgerte, und ging."
„Wusste Emmaline, dass du dort warst?"
„Als ich aus Vincents Arbeitszimmer stürmte, sah ich flüchtig, wie sie auf den Treppenstufen hockte und durch das Geländer spähte." Ein gequälter Ausdruck legte sich auf sein Gesicht. „Ich werde nie vergessen, wie klein und verloren sie wirkte. Sie kam mir wie ein ängstlicher kleiner Vogel vor. Ich erkannte, dass sie alles gehört haben musste. Sie wusste, dass ich ihr Vater war, doch Vincent sie in seiner Gewalt hatte. Und dass ich sie im Stich ließ. Ich wollte ihr mitteilen, dass alles gut werden würde, auch wenn ich selbst kaum daran glaubte. Wie ein Wahnsinniger mit den Armen fuchtelnd, kam Vincent mir nach und wies mich aus dem Haus. Voller Angst, Vincent könne sie bemerkt haben, lief Emmaline die Treppe hinauf und verschwand. Und ich fühlte mich entsetzlich hilflos. Ich redete mir ein, dass alles, was ich in diesem Augenblick hätte tun oder sagen können, Emmaline nur noch größeren Schmerz bereitete hätte, und ging."
Er verfiel in Schweigen.
Genevieve schmiegte sich noch immer wortlos an ihn.
„Am Tag darauf nahm sie sich das Leben", flüsterte er schließlich. „Sie stand in aller Frühe auf, ruderte mit einem kleinen Boot in die Mitte des prächtigen Teichs, den Vincent Jahre zuvor hatte anlegen lassen, und sprang hinein. Einer der Gärtner, der soeben seinen Dienst antreten wollte, beobachtete, wie sie aus dem Boot hüpfte. Er rannte über den Rasen, sprang in den Teich und versuchte, sie herauszuziehen, doch das Wasser war so dunkel, dass er sie nicht fand." Er schluckte mühsam. „Erst Stunden später gelang es ihnen, ihre Leiche aus dem Teich zu fischen. Sie trug ihr Nachthemd und darüber einen von Vincents Mänteln. Verstehst du, sie brauchte einen Mantel mit tiefen Taschen, denn sie hatte sich die Mühe gemacht, sie mit schweren Steinen zu füllen." Er beendete sein Geständnis mit tonloser Stimme.
„Damit diese sie hinab in die Tiefe zögen, falls sie instinktiv gegen das Ertrinken ankämpfen sollte, wenn die Wogen sich über ihr schlossen."
Sein Leid war so herzergreifend, dass Genevieve es nicht länger ertragen konnte. „Es war nicht deine Schuld, Haydon", erklärte sie mit fester Stimme. „Es gab nichts, was du hättest tun können."
„Das glaubst du ebenso wenig wie ich." Sein Tonfall war barsch. „Ich hätte sie nicht dort zurücklassen dürfen. Ich hätte sie packen, mit in meine Kutsche nehmen und mit ihr fliehen müssen. Ich hätte Vincent mitteilen müssen, er solle sich zum Teufel scheren und dass er mich erst umbringen müsse, wenn er sie wiederhaben wolle.
Ich hätte sie fest in die Arme nehmen und ihr sagen müssen, dass ihr nie wieder jemand wehtun würde. Ich hätte etwas unternehmen müssen, ganz gleich, was.
Doch stattdessen stieg ich in meine Kutsche und ließ sie im Stich, ohne zu begreifen, wie zart und verzweifelt sie war. Und wegen meiner Dummheit, meiner Selbstsucht und meiner verfluchten Unfähigkeit ist meine kleine Tochter in einen eisigen schwarzen Teich gesprungen und ertrunken." In seinen Augen spiegelte sich tiefer Schmerz, als er schloss: „Ich hätte sie retten können, Genevieve. Ich hätte sie mit nach Hause nehmen und beschützen können. Doch ich entschied, sie zurückzulassen, und deshalb ist sie tot."
„Du ahntest nicht, was passieren würde", widersprach Genevieve. „Und selbst wenn du sie mitgenommen hättest, Haydon, glaubst du wirklich, Vincent hätte tatenlos
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