009 - Der Engel von Inveraray
das, Kinder?"
Sie schüttelten unschuldig den Kopf.
„Dann können wir Ihnen heute leider nicht weiterhelfen, meine Herren", verkündete Haydon und machte damit deutlich, dass er den Besuch als beendet betrachtete.
„Wir werden Sie sofort benachrichtigen, wenn jemandem von uns etwas auffällt, das Ihrer Untersuchung dienlich sein könnte."
„Verzeihen Sie noch einmal die Störung, Miss MacPhail... ich meine, Mrs. Blake", berichtigte Governor Thomson sich hastig.
„Keine Ursache, Governor Thomson." Genevieve guckte mit gespielter Verwunderung zu Charles hinüber. Jedes Mal, wenn sie ein Kind aus dem Gefängnis rettete, schaute er ungebeten bei ihr vorbei, um ihr zu sagen, was für einen entsetzlichen Fehler sie begangen und in welch ein lächerliches Durcheinander sie ihr einst so viel versprechendes Leben verwandelt habe. Offenbar hatte Charles davon gehört, dass sie Jack aufgenommen hatte, und war gekommen, um ihr seine Bedenken mitzuteilen. „Gab es einen Grund für deinen Besuch, Charles?"
Der Earl zögerte. „Ich wollte wissen, ob du ein neues Porträt meiner Tochter anfertigen könntest", log er aus dem Stegreif. „Das Bild, das du vor drei Jahren von ihr gemalt hast, gibt sie nicht mehr treffend wieder. Vorausgesetzt natürlich, dein Gatte gestattet dir, weiterhin Porträts zu malen." Er warf Haydon einen herausfordernden Blick zu.
Charles versuchte herauszufinden, ob ihr frisch angetrauter Ehemann in der Lage war, sie zu versorgen, erkannte Genevieve. In den vergangenen Jahren hatten sie stets mit ihren begrenzten finanziellen Mitteln zu kämpfen gehabt. Mit dem Porträtieren der Kinder jener reichen Adligen, die sie einst als Gast in ihrem Haus empfangen hatten, war es ihr gelungen, für einen Teil der Haushaltsausgaben aufzukommen und so den Verkauf der wertvollsten Familienerbstücke hinauszuzögern. Obwohl sie für ihr Leben gern malte, hatte es sie große Überwindung gekostet, Charles' prächtig ausgestattetes Haus nicht als seine Verlobte oder als gern gesehener Gast, sondern als einfache Lohnempfängerin zu betreten.
Sie argwöhnte, dass er ihr den Auftrag nur erteilt hatte, weil er ein abartiges Vergnügen dabei empfand, sie auf diese Weise erniedrigt zu sehen.
Es widerstrebte ihr, die Möglichkeit eines Zusatzverdienstes abzulehnen, doch sie wollte nicht den Eindruck erwecken, ihr neuer Ehemann sei nicht in der Lage, für sie und die Kinder zu sorgen. Das würde nur Anlass zu unerwünschten Spekulationen über ihn geben. „Maxwell und ich haben noch nicht darüber gesprochen ..."
„Du musst tun, was immer dir zusagt, meine Liebe", unterbrach Haydon, der Genevieves Verlegenheit sofort begriffen hatte. „Wenn es dir Freude macht, Charlies Tochter zu malen, dann solltest du dir dieses Vergnügen gönnen."
Der Earl lief bis zu den Wurzeln seines schütteren Haares rot an. „Mein Name ist Charles", presste er hervor.
Genevieve zögerte einen Augenblick, als überlege sie, was sie tun sollte. „Nun gut, Charles", willigte sie schließlich ein. „Ich male gern Porträts, und deine Tochter ist ein reizendes Motiv. Es wird mir ein Vergnügen sein, dir diesen Gefallen zu erweisen." Sie lächelte, zufrieden darüber, dass es den Anschein hatte, als gewähre sie ihm eine Gunst.
„Und nun wollen Sie uns bitte entschuldigen, meine Herren. Ich glaube, wir haben die Kinder lange genug vom Abendessen abgehalten", erklärte Haydon. „Oliver, würden Sie unsere Gäste bitte zur Tür geleiten?"
„Jawohl, Mr. Blake, Sir", antwortete Oliver gedehnt, der diesen Augenblick seit der Ankunft der ungebetenen Besucher herbeigesehnt hatte.
„Es war mir ein Vergnügen, Sie alle kennen zu lernen", meinte Haydon, als Oliver die Herren durch den Flur führte. „Ich hoffe, Sie bald wieder zu sehen."
„Zu bald aber nicht", murmelte Oliver und schlug die Tür hinter ihnen zu.
„Habt ihr das gesehen?" fragte Jamie aufgeregt. „Die haben wirklich angenommen, Sie wären mit uns verheiratet!"
„Ich kann mit Stolz behaupten, dass ich da meine Hand im Spiel hatte", verkündete Eunice vergnügt, als sie aus der Küche zurückkam. „Hat euch mein hübscher Knicks gefallen?"
„Ja, und meiner auch, hoffe ich", fügte Doreen hinzu, die ihr folgte. „Und glaubt nicht, das sei einfach gewesen mit meinen armen alten Knien!"
„Ich wette, man hat sie bis in die nächste Stadt knacken hören", sagte Oliver kichernd. „Im ersten Augenblick dachte ich, es wären die Dielen, die unter Governor Thomsons
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