009 - Der Engel von Inveraray
feuchten Tuch abgetupft. Sie wusste, dass Lord Redmond stark, sehnig und geschmeidig war wie ein wilder Panter. Wie mochte es wohl sein, in seinen Armen zu liegen, sich an ihn zu schmiegen und seine Lippen auf den ihren zu spüren?
Ein heißer Schauer durchrieselte sie.
Sie erhob sich und eilte zur Tür, verwirrt ob der fremdartigen Empfindungen, die ihr Blut in Wallung brachten. Meine Beziehung zu Lord Redmond ist eine auf unglückliche Umstände zurückzuführende Zweckgemeinschaft, mehr nicht, rief sie sich in Erinnerung.
Dennoch verspürte sie das heftige Verlangen, bei ihm zu bleiben, als sie einen letzten Blick auf ihn warf und sah, wie seine mächtige Gestalt sich dunkel von den verlöschenden Flammen des Kaminfeuers abhob.
5. KAPITEL
„Guten Tag, alle miteinander!" Genevieve lächelte ihre fleißigen Kinder an, die in der Küche eifrig damit beschäftigt waren, Doreen und Eunice zu helfen. Bei so vielen Gesichtern fiel es ihr leicht, den Blick von Haydon abzuwenden, der am Küchentisch saß und versuchte, eine zerbrochene Teekanne zu kleben.
Zwar war es ihr in den vergangenen Tagen nicht völlig gelungen, Lord Redmond aus dem Weg zu gehen, doch sie hatte dafür gesorgt, dass sie nie allein mit ihm war. Er hatte sich so weit erholt, dass er weder ihr Schlafzimmer noch ihre ständige Anwesenheit an seinem Bett benötigte. Freundlicherweise hatte Doreen sich bereit erklärt, auf einem Feldbett in Eunices Zimmer zu schlafen, damit Haydon ihre Kammer beziehen konnte. Zunächst hatte Genevieve befürchtet, es könne Lord Redmond, der zweifellos an eine prunkvolle, geräumige Umgebung gewohnt war, missfallen, in das recht enge Dienstbotenzimmer im dritten Stock abgeschoben zu werden. Entgegen ihren Befürchtungen wirkte er jedoch höchst zufrieden mit diesem Arrangement und versicherte Doreen, dass er sehr dankbar sei und hoffe, sie nicht zu lange aus ihrem Zimmer zu vertreiben. Nach mehreren Wochen in einer feuchtkalten, modrigen Zelle erschien ihm Doreens helles, sauberes Kämmerlein vermutlich geradezu luxuriös.
„Was haltet ihr davon, Kinder, wenn wir uns warm anziehen und einen Spaziergang machen, wenn ihr eure Pflichten erledigt habt? Es hat begonnen zu schneien und ..."
Ein lautes Klopfen an der Tür unterbrach sie.
„Oliver, würdest du bitte nachsehen, wer das ist?" Sie gab sich Mühe, den schrillen Unterton zu unterdrücken, der sich seit Haydons Ankunft vor einer Woche jedes Mal in ihre Stimme schlich, sobald jemand an ihre Tür pochte. Sogar wenn der Milchmann klopfte, fürchtete sie, man habe Lord Redmonds wahre Identität aufgedeckt und sei gekommen, ihn zu holen.
„Aber gewiss doch, Mädchen", entgegnete Oliver und blickte dann fragend zu Haydon hinüber. „Wollen Sie durch den Hinterausgang verschwinden, junger Freund? Man weiß ja nie ..."
Haydon schüttelte den Kopf. Falls die Behörden herausgefunden haben sollten, dass Maxwell Blake in Wahrheit ihr entflohener Sträfling war, konnte er Genevieve und ihre Familie nicht im Stich lassen. Er würde bleiben und der Polizei begreiflich machen, dass er sie gezwungen hatte, ihm zu helfen.
„Nun gut. Ich werde einen Heidenlärm veranstalten, wenn ich glaube, dass es jemand ist, den Sie vielleicht nicht so gern treffen würden." Oliver erhob sich und strich sorgfältig seine verschlissene Jacke glatt, bevor er die Küche verließ und zur Haustür eilte.
„Kommt, meine Küken, lasst uns weiterarbeiten", forderte Eunice die Kinder auf, um die bange Stimmung zu vertreiben, die sich in der Küche ausgebreitet hatte.
„Beschäftigung nährt den Geist und erfreut das Herz."
In bedrücktes Schweigen gehüllt, widmeten sich alle wieder ihren Aufgaben.
„Es ist der komische alte Kauz Humphries von der Bank", berichtete Oliver, als er einen Augenblick später in die Küche schlurfte. „Er sagt, er wolle Sie dringend sprechen, Mädchen ... und Ihren Gatten, Mr. Blake. Offenbar hat sich die Neuigkeit von Ihrer Hochzeit bereits in ganz Inveraray herumgesprochen. Er ist bestimmt hier, um Sie zu beglückwünschen."
„Vielen Dank, Oliver." Genevieve schaute unsicher zu Haydon hinüber. „Vermutlich würde Mr. Humphries es seltsam finden, wenn ich ihn nicht an der Seite meines neuen Ehemanns empfange, doch ich habe volles Verständnis dafür, wenn Sie mich lieber nicht begleiten möchten."
„Es ist mir ein Vergnügen, den Bankdirektor meiner Gemahlin kennen zu lernen." Er blickte sie fest an und bot ihr den Arm.
Genevieve legte behutsam
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