009 - Die Bestien
eigenhändig mit dem Messer töten zu dürfen.
Die Hunde rannten jetzt kläffend um den Stamm einer großen alten Eiche herum. In der Nähe ertönte ein Jagdhorn, das Pierre Coutarel, der Verwalter, blies. Er war ein untersetzter, kräftiger Mann in den Vierzigern mit dicken roten Wangen.
In diesem Moment erschien ein junges Mädchen auf einem Schimmel zwischen den Bäumen. Man sah, dass sie nicht das erste Mal auf einem Pferd saß. Der schwarze Jagdrock brachte ihre schlanken Formen höchst vorteilhaft zur Geltung. Dichte dunkle Locken fielen auf ihre Schultern herab. Der Blick ihrer fast schwarzen Augen war lebhaft und fröhlich.
»Ha, Fräulein Elina!« rief der Oberst. »Sehen Sie nur, wie verrückt sich die Hunde auf führen!«
Rücken an Rücken rannte die Meute laut jaulend um die Eiche. Sie gebärdete sich wie toll und achtete nicht auf das Jagdhorn.
Elina Latour war erst am Morgen im Landschloss der Sirvens eingetroffen. Es war das erste Mal, dass sie an einer Jagd teilnahm.
Robert lenkte sein Pferd zu ihr, und während sein Vater und der Oberst über das seltsame Betragen der Hunde diskutierten, ritt er im Schritt mit Elina einen breiten Waldweg entlang.
»So, jetzt haben wir wenigstens mal Gelegenheit, uns ein bisschen besser kennen zu lernen«, sagte er. »Heute Morgen sind wir uns ja nur kurz vorgestellt worden, und bei Tisch haben wir an entgegen gesetzten Enden der Tafel gesessen.«
»Hier ist es wirklich wunderschön! Catherine hat mir schon viel von Ihnen und Ihrer Familie erzählt. Ich freue mich so, Sie nun alle kennen zu lernen.«
»Catherine Dorner ist eine alte Freundin unserer Familie. Sie hat hier schon als Kind ihre Ferien verlebt. Uns hat sie auch von Ihnen erzählt. Aber natürlich kennen wir Sie ohnehin alle schon als Pianistin. Ich habe mich erst kürzlich unter Ihren Zuhörern befunden, als Sie in Paris ein Konzert gaben. Sie sind wirklich eine begnadete Pianistin.«
»Ich würde mich freuen, wenn ich es einmal würde. Bis dahin ist aber noch ein weiter Weg. Und Sie sind Ingenieur, nicht wahr?«
»Ja. Seit einem Vierteljahr leite ich das Stahlwerk meines Vaters.«
»Gehen Sie gern auf die Jagd?« fragte Elina.
»Gar nicht. Aber ich reite gern durch die schöne Landschaft hier bei uns.«
»Das kann ich verstehen. Die Gegend ist wirklich herrlich!«
Roberts Blick fiel auf eine Brosche, die am Revers von Elinas Jackett steckte. Sie schien aus massivem Gold zu sein und sah sehr ungewöhnlich aus. Eine Art Hund war darauf eingraviert -es konnte auch ein Wolf oder ein Schakal sein der von einer Schlange eingekreist wurde.
»Ein sehr apartes Schmuckstück.« Robert beugte sich vor, um es aus der Nähe zu betrachten.
»Ja, nicht wahr? Es ist ungewöhnlich«, erwiderte Elina. »Ich habe noch einen Ring, der dazugehört.«
Sie zog den Handschuh aus und streckte ihm die Hand entgegen. Auf dem Ring war ein Falkenkopf abgebildet.
»Beide Schmuckstücke scheinen sehr alt zu sein«, bemerkte Robert. »Wissen Sie, woher sie stammen?«
»Nicht genau. Aus Ägypten vermutlich.«
»Sicher alte Erbstücke.«
»Ja«, erwiderte Elina nach kurzem Zögern. »Ich hänge sehr an ihnen.«
Sie hörten Hufschläge hinter sich, und gleich darauf tauchten zwei Reiter auf. Es waren Catherine und ihr Verlobter Gilles. Er hatte mit Robert zusammen studiert. Seine blauen Augen blickten klar und offen ins Leben, und sein Haar war von so hellem Blond, dass ihn seine Freunde im Scherz das Weizenfeld nannten. Auch Catherine war blond, aber ihr Haar war dunkler. Sie war ein bildhübsches Mädchen, mit dem rosigen Gesicht einer Puppe, das nicht recht zu ihrem selbstbewussten, forschen Auftreten passte.
»Na, ihr beiden!« rief sie fröhlich. »Habt ihr den armen Eber schon gekillt?«
»Ich glaube, dem geht’s heute nicht an den Kragen«, erwiderte Robert. »Die Hunde spielen nicht mit. Der Oberst sagt, sie sind verrückt geworden.«
»Dann reiten wir doch zum Schloss zurück«, schlug Catherine vor. »Wir können ja noch ein paar Sätze Tennis spielen, wenn ihr Lust habt.«
Die Reiter stiegen ab und führten ihre Tiere zum Schloss. Als sie zwischen den Bäumen hervortraten, sahen sie einen anderen Gast, den Engländer John Hopkins, auf der Wiese sitzen. Er rauchte gemächlich seine Pfeife und las Zeitung. Er war ein alter Freund von Roberts Vater. Der Sechzigjährige sah typisch englisch aus. Er hatte einen langen, knochigen Schädel, ein Pferdegebiss, unzählige Sommersprossen und verfügte über
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