0093 - Vlado - der Schreckliche
Arm hielt er einen total unsozialistischen Managerkoffer aus dunkelbraunem argentinischem Pampaleder geklemmt.
Zamorra löste sich von der Brüstung des Balkons und ging hinunter. Zum Essen hatte er sich umgezogen. Nicht weil es im ›Sonnenhof‹ so hochherrschaftlich zugegangen wäre, sondern weil er das so gewohnt war.
Tibor Déry erwartete ihn an der Theke der winzigen Rezeption. Um die Mittagszeit war sie verlassen. Der Angestellte, der sich dort aufhielt, fungierte gleichzeitig als Hauswart.
Die beiden Männer begrüßten sich, tauschten die üblichen Höflichkeitsfloskeln aus, doch dann kam der Ungar sofort zur Sache.
»Haben Sie das Geld?«
»Haben Sie Professor Jurai Cup?«, fragte Zamorra im selben Tonfall dagegen.
Tibor Déry zeigte wieder lächelnd seine Zähne.
»Ich hoffte, Ihnen nicht alles noch einmal erklären zu müssen, Monsieur le Professeur.«
Zamorras Miene verschloss sich. Das blendende Aussehen des Ungarn hatte ihn wieder kurz darüber hinweggetäuscht, dass er es nicht mit einem mildtätigen jungen Mann zu tun hatte, sondern mit einem skrupellosen Geschäftemacher, der am Leid anderer verdiente. Und das nicht schlecht.
»Müssen Sie nicht, nein. Folgen Sie mir. Einige Fragen möchte ich doch vorher noch beantwortet haben. Woher soll ich wissen, dass Sie nicht nur ein mieser, kleiner Betrüger sind?«
Das saß. Tibor Déry verlor sein strahlendes Lächeln. Zamorra beachtete den Mann nicht weiter. Er ging voraus ins Fernsehzimmer, das zu dieser Tageszeit von keinem der Gäste besucht wurde, und setzte sich. Dem Ungarn bot er keinen Platz an.
Déry räusperte sich schließlich verlegen und zog sich einen Stuhl zurecht. Er achtete darauf, dass er seine messerscharfen Bügelfalten nicht verknitterte. Den Aktenkoffer stellte er neben sich auf den Parkettboden.
Er wollte etwas sagen, doch das Wort blieb ihm in der Kehle stecken. Zamorra konnte ein leichtes Grinsen nicht unterdrücken. Wenn ein Mann hier im ›Sonnenhof‹ so runde Augen bekam, dann konnte das nur bedeuten, dass er einen Blick auf Nicole Duval erhascht hatte.
»Hier sind wir, Nicole«, sagte Zamorra, ohne sich umzuwenden. Er saß mit dem Rücken zur Tür.
»Sie kennen dieses bezaubernde Wesen?«, fragte Tibor Déry überrascht.
»Mademoiselle Duval ist meine Sekretärin«, antwortete Zamorra genau mit jenem Unterton, der verriet, dass die Französin noch wesentlich mehr für ihn war.
Eine durchaus männliche Regung. Man steckt unbewusst sein ›Revier‹ ab.
Zamorra stand auf und zog Nicole einen Stuhl zurecht.
Verständlich, dass der Ungar runde Augen bekommen hatte.
Nicole verwendete nicht viel Make-up, doch die wenigen Kosmetika, die sie einsetzte, verteilte sie so geschickt, dass Männern bei ihrem Anblick ein feuchter, sehnsüchtiger Glanz in die Augen trat.
Dazu trug die Französin einen um zwei Nummern zu knappen Pulli, der ihre nicht zu großen festen Brüste deutlich und keck hervortreten ließ. Bei ihrer engsitzenden Hose fragte man sich vergeblich, wie sie es geschafft hatte, da hineinzusteigen. Unter dem schimmernden Satin zeichnete sich ab, dass Zamorras Sekretärin Minislips als Unterwäsche bevorzugte.
»Bonjour«, grüßte sie fröhlich und drückte Zamorras Hand, weil sie ahnte, dass der Ungar sich darüber ärgern würde. »Willst du uns einander nicht vorstellen?«
Zamorra tat es. Der Ungar sprang von seinem Stuhl hoch und küsste Nicole die Hand. Er hatte sich wieder gefangen, und wollte ganz offensichtlich zu flirten beginnen. Nicole stoppte ihn.
»Deshalb sind Sie wohl nicht gekommen, Monsieur Déry. Über den Vorgang, der Sie hierher geführt hat, weiß ich Bescheid. Wir könnten eigentlich anfangen.«
Déry schluckte. Nicole lächelte ihn leidenschaftslos an. Leute wie der Ungar konnten ihr nicht gefährlich werden. Tibor Déry war ein Beau. Ein Mann war Professor Zamorra.
»Könnten wir eigentlich, ja«, sagte er schließlich eisig. Er spürte genau, wann er bei einer Frau nicht landen konnte. Seine Enttäuschung über seine Schlappe verbarg er nur ungeschickt. Er wurde mürrisch. »Ich habe Monsieur Zamorra schon um die Auszahlung des Betrages gebeten.« Inzwischen standen Aperitifs vor ihnen. Der Ungar nippte an seinem Glas. »Ich kam, um Ihnen mitzuteilen, dass Jurai Cup übermorgen bald nach Mitternacht die Grenze passiert haben wird.«
Tibor Déry bückte sich, ließ seinen Koffer aufschnappen und zog eine Wanderkarte des örtlichen Touristik-Vereins heraus, die auch in jedem
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