0095 - Die Höllenkutsche
habe es doch gesagt. Ich habe es immer gesagt. Die Kutsche gibt es. Oh, ihr werdet euch noch wundern, das verspreche ich. Ihr werdet Angst…«
»Halten Sie den Mund!« fuhr ich ihn an.
Wir beugten uns aus dem Fenster. Unsere Atemfahnen trafen sich in der klaren Winternacht. Das Getrappel der Hufe wurde lauter. Es steigerte sich und wuchs zu einem Brausen an.
Ich machte den Hals noch länger, schaute nach rechts und sah die gelben Lichter. Sie tanzten hin und her wie Sturmlaternen, die den einsamen Wanderer vor einer Gefahr warnten.
»Mann, John!« flüsterte Bill, »der Alte hat ja recht.«
Ich gab keine Antwort, sondern schwang mich aus dem Fenster, bevor Bill noch protestieren konnte.
Schnell lief ich auf die Straßenmitte. Dort blieb ich stehen.
Die Kutsche kam.
Sie donnerte heran. Die Lichter wurden größer. Ich sah, wie der hellgelbe Schein zwei rabenschwarze Pferde aus der Dunkelheit riß.
Totengäule…
Auf den Köpfen wippten große, ebenfalls schwarze Federbüsche. Vor den Nüstern der Tiere dampfte der Atem. Die Beine wirbelten, die Hufe trommelten über den Boden. Räder quietschten, Lichter schaukelten, das Zaumzeug knarrte.
Auf dem Bock saß er und hielt die Zügel fest umklammert. Ein Mann mit einem Zylinderhut, unter dem ein heller Totenschädel leuchtete, weil das Licht einer Sturmlaterne ihn traf.
Es war ein schauriges Bild, das die Kutsche bot.
Ich starrte ihr entgegen, stand mitten auf der Straße.
Noch fünfzig Yards höchstens…
»John! Weg da!« schrie Bill. Er schaute noch immer aus dem Fenster und beobachtete mich. Ich blieb stehen.
Der Kutscher hob den Arm. Eine Peitsche knallte. Schrill wieherten die Pferde. Das Rasseln der Räder und das Stampfen der Hufe dröhnte in meinen Ohren wie ein höllisches Stakkato.
»John!« Bills Warnschrei übertönte das Stampfen der Hufe.
Noch zehn Yards!
Und der Kutscher machte keinerlei Anstalten, seine Gäule zu zügeln. Im Gegenteil, er feuerte sie weiter an.
Sie würden mich überrennen, ja, sie wollten mich töten.
Ich spannte alle Muskeln und hechtete im letzten Augenblick zur Seite, bevor mich die Hufe der Pferde zu Boden schleuderten und zermalmten.
Die Höllenkutsche jagte an mir vorbei. Ich spürte den Luftzug, und neben mir knallte die Peitschenschnur zu Boden, die der Kutscher benutzt hatte.
Noch im Sprung warf ich mich herum.
Die Kutsche hatte mich passiert, ich aber wollte nicht aufgeben, sondern sie stoppen.
Ich rannte ihr nach.
Auf der Kurzstrecke brauche ich mich mit meinen läuferischen Leistungen nicht zu verstecken. Natürlich hätte ich bei einer größeren Entfernung keine Chance gehabt, so aber holte ich auf.
Und das nicht zu knapp.
Außerdem erkannte ich noch etwas.
Die Kutsche war beladen.
Zwei Särge standen dicht nebeneinander auf dem Dach und waren mit einem Strick festgezurrt. Zudem entdeckte ich noch eine Trittstufe am Heck der Kutsche. Hier war wohl früher der Diener oder Lakai mitgefahren.
Diese Stufe war mein Ziel.
Noch einmal strengte ich mich an, sprintete schneller – und stieß mich ab.
Rasend schnell flog ich auf die Kutsche zu. Es gelang mir im letzten Moment, die Haltestange zu greifen und mit den Füßen auf der Stufe Platz zu finden. Dann prallte ich mit der Schulter gegen das Holz der Rückwand.
Keuchend stieß ich den Atem aus.
Über mir rumpelten die Särge. Einer schien sich aus der Verankerung gelöst zu haben.
Mit einer Hand hielt ich mich weiterhin fest. Die andere riß ich hoch und faßte nach dem schweren, schwarzen Sarg. Ich stieß ihn hart an, so hart, daß er nach rechts überkippte.
Im selben Augenblick fegte die Kutsche in eine Rechtskurve. Alles ging sehr schnell. Mir gelang es nicht mehr, mich festzuklammern, die Fliehkraft war stärker und riß mich herum.
Ich mußte loslassen, befand mich für Sekundenbruchteile in der Luft und zog den Kopf in den Nacken.
Hart knallte ich zu Boden.
Den Schlag spürte ich bis in den allerletzten Gehirnwinkel, wurde von der Eigengeschwindigkeit noch ein paarmal um die eigene Achse gewirbelt, während die Kutsche in der Ferne verschwand.
Endlich lag ich still. Mit mir jedoch war ein Gegenstand zu Boden gekracht.
Der Sarg!
Und er war so unglücklich gefallen, daß der Deckel aufsprang. Mir taten zwar sämtliche Knochen weh, aber gebrochen hatte ich mir nichts. Ich stemmte mich auf die Knie.
Vom Haus her rannte Bill auf mich zu. Ich sah ihn aus den Augenwinkeln, dann jedoch starrte ich wie gebannt auf den Sarg, denn aus
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